Viele Bravos, auch für „Bravo“-Briefe

■ 5. Landesschultheatertreffen zeigte große Kunst von nicht immer kleinen Menschen

Ausnahmsweise regnet es nicht. So können die 50 Jugendlichen endlich die Bänke nutzen, die im Hof vor dem Schauspielhaus des Bremer Theaters aufgebaut sind. Sie treffen sich zu einer Nachbesprechung. Sie diskutieren die Stücke und sie befragen die Gruppen, die sie wenige Stunden vorher auf der Bühne gesehen haben. Das fünfte Landesschultheatertreffen in Bremen ist so lebendig wie selten. Die Organisatoren hatten zum ersten Mal die Idee, nicht nur Gruppen mit ihren fertigen Produktionen auf die beiden Bremer Bühnen – MOKS und Schauspielhaus – zu bitten, sie hatten zusätzlich sieben Kurse Darstellendes Spiel aus Bremen und Bremerhaven als „aktive Zuschauergruppe“ eingeladen, die die Aufgabe haben, das viertägige Festival mit szenischen Improvisationen kritisch zu begleiten. Der Erfolg war durchschlagend. Fast alle Vorstellungen der insgesamt 17 Inszenierungen waren ausgebucht .

Zum Beispiel „Liebe, Sex und Zärtlichkeit“, ein 12-Minuten-Stück der Theatergruppe des Schulzentrums Ronzelenstraße. Ihr Leiter Paul Scheller hat mit acht 12-17jährigen Darstellerinnen ein Goethe-Gedicht bearbeitet, und er zeigt auf allerhöchstem Niveau, wie präzise, wie zart und transparent Theater in der Schule sein kann. Die Mädchen, die mechanisch und unfreiwillig ein Gedicht lernen, das ihnen zunächst ganz fremd bleibt, blättern zwischendrin begeistert in der Bravo, lesen sich die Leserbriefe vor, kichern, albern herum, stöhnen über Goethe; und als Celine Dions Titanic-Hymne eingespielt wird, spüren sie überraschend die Nähe zu den 200 Jahre alten Liebesworten. Diese 12 Minuten, eine Pausenlänge, sind choreografisch so dicht, sie haben soviel Spielwitz und Leichtigkeit, daß sie zu einem der Höhepunkte dieses Festivals werden, das an Höhepunkten keineswegs arm ist.

Die 50 Jugendlichen draußen vor dem Schauspielhaus loben das gute Zusammenspiel, aber sie wollen nicht nur Schmeicheleinheiten verteilen: Warum habt ihr den kitschigen Titanic-Song benutzt, fragen sie, warum das Goethegedicht in voller Länge vorgetragen, warum so viele Bravo-Briefe?

Die Bravo-Szene, kommt dabei heraus, hat gerade den jüngeren Zuschauern bestens gefallen, und der Titanic-Hit „My heart will go on“ war gar nicht ernst gemeint (“die Musik hing uns zum Halse raus“), sondern bewußt satirisch als Super-Kitsch einbezogen worden. Neben den Nachgesprächen gab es noch andere Formen der Meinungsäußerungen. Ein jugendliches Redaktionsteam brachte täglich eine vierseitige Zeitung heraus mit Kritiken, Interviews und Glossen. Auf großen Tafeln konnten im Foyer des Schauspielhauses Zuschauer anonym ihre Kommentare loswerden. Sie gingen mit Spielern und Produkten manchmal hart ins Gericht. „Grottenschlecht“ mußten sich einige schimpfen lassen.

Aber „grottenschlecht“ war das wenigste auf diesem Festival, das vor allem die Vielfalt des gegenwärtigen Schultheaters ausstellte. Zu welchen spielerischen Leistungen 12jährige angespornt werden können, zeigte beeindruckend die „Neue Bühne“ der Bremerhavener Paula-Modersohn-Schule. Die Sechstklässler haben Mark Twains Klassiker „Tom Sawyer“ mit großen Gesten und slapstickhaft gespielten Typen ausgesprochen lebendig gegeben und damit unter Beweis gestellt, daß auch die Kleineren auf der Bühne ernsthaft gefordert werden wollen. Das gewagteste Unternehmen war Uwe Barons Inszenierung des Handke-Stücks „Die Stunde,da wir nichts voneinander wußten“. 130 Mitspieler, Jugendliche und ihre Eltern, standen gemeinsam auf der Bühne, um Handkes Spiel ohne Worte, die sprachlose Kommunikation auf einem Marktplatz, Geschichten von Annäherungen und vom Scheitern zu zeigen. Sehr bunt, sehr körperlich, sehr direkt und spielfreudig war das gemacht.

Mit einer szenischen Präsentation der „aktiven Zuschauergruppen“ endete das Festival im Schauspielhaus. Danach ist jedem klar: Das Schultheater im Lande Bremen kann sich sehen lassen. Nächstes Jahr in Bremerhaven.

Hans Happel