■ Normalzeit: Medienenten im Brutfieber
Entweder hat der Verfasser der Händlerschürzen für die Bild- Zeitung die regelmäßigen Enten- Seiten in der Titanic koksmäßig zu ernst genommen, oder da hat sich ein Linker in diese Springer- Stelle eingeschlichen, dem das, was alle Dumpfdeutschen für „Politik“ halten, am Arsch vorbeigeht! Denn just am größten Berlin-Tag, da der US-Präsident die Hauptstadt besuchte, titelte dieses finstere Subjekt: „Ente brütet auf Hochhaus!“ Das muß man sich mal vorstellen! Und seine alberne „Ente“ wird auch nicht dadurch relevanter, daß clintonbehütende Scharfschützen, plaziert auf den Dächern dieser Stadt, das Nest entdeckten und sofort Bild meldeten – wie mein Zeitungshändler vermutete, der – wie immer – den zur Schürze gehörigen Text nicht gelesen hatte. Ich aber: Gemeldet hatte die Topnachricht die Studentin Antonia (27) aus Steglitz. Und die Ente – namens Magerquak – nistete nicht auf dem Dach, sondern auf einem Balkon im 5. Stock. Wie aber um Gottes willen kommen ihre Küken von da wieder runter? Wolfgang Grummt vom Tierpark meint, die Mutter überrede sie später, herunterzuspringen: „Wegen der weichen Knochen passiert nichts!“ Hoffentlich irrt sich der „Vogelkurator“ da nicht.
Kurz zuvor – Clinton war noch nicht in der Stadt – hatte bereits die Springersche Morgenpost mit einer Entengeschichte – wenn auch nicht gerade auf-, so doch zugemacht. Hier hatte der Redakteur zwar keine Fotos verwendet, dafür aber die genaue Adresse des Entennistplatzes angegeben: eine winzige Insel auf einem kleinen Teich in einem Köpenicker Hinterhof. Und diesen Hof kannte ich: Das Biotop hatte der Ex-Batteriefabrikarbeiter und PDS-Bundestagsabgeordnete Peter Hartmann – mit 100.000 Mark Begrünungsgeld von der Stadt – quasi aus dem (bleiverseuchten) Nichts dort gestampft. In dem ebenfalls von ihm – und seinem Nachbarn Manne – angelegten Teich schwammen japanische Designerkarpfen aus Israel (von Benjamin Wohlfelds Spandauer Koi-Farm), und auf der kleinen Insel lebten mongolische Springmäuse aus Erkner (von „Zoo Rillig – immer billig!“). Das mußte also eine Zeitungsente sein, denn auf diesem Winzeiland konnten unmöglich zwei Enten und zwei Mäuse zusammenleben, mal abgesehen davon, daß die Entenscheiße das Wasser für die Kois vergiften würde. So etwas ließe der gelernte Agronom Hartmann nie zu! Ließ er aber doch, wie dann ein sofortiger Anruf bei ihm in Bonn (Ortsgespräch!) ergab. Der Abgeordnete lud mich gleich ein, dabeizusein, wenn die Ente mit ihren fünf Küken demnächst – zu Fuß – das Hinterhofbiotop verlassen würde, um an die Spree zu gelangen. Ich sollte meine Kamera mitbringen, um den Artikel darüber ansprechender gestalten zu können. Dies scheiterte dann jedoch am Lokalredakteur, der an diesem Tag irgendwie anders als die Springer-Journalisten tickte. Macht nichts, dachte ich, pack ich den Ententext eben in meine Kolumne – ohne Foto.
Hier mein Bericht: Um 10.26 Uhr verläßt die Ente mit ihren sechs Küken den Hinterhof, langsam watscheln sie den Gehsteig entlang. An einer Stelle wollen sie die Straße überqueren. Zwei Küken haben Angst, den Bordstein runterzuspringen. Ich und drei andere Journalisten knipsen sie, Hartmann und vier Nachbarn filmen. Plötzlich kommt die Straßenbahn um die Ecke. Sie wird angehalten. Endlich ist die Entengruppe am Wasser, hier müssen sich die schon müden Küken anderthalb Meter in die Tiefe stürzen. Nach kurzem Zögern tun sie das. Etwa gleichzeitig stürzen sich aber auch sieben Erpel auf ihre Mutter. Hartmann und seine Kumpel werfen mit kleinen Steinen nach den Vergewaltigern. Die Küken schwimmen fiepend nach allen Seiten davon. Schließlich lassen die Erpel von der Ente ab, und diese schart schnatternd wieder ihre Brut um sich. Noch ein wenig verwirrt von dem ganzen Trubel um sie herum, wenn ich das richtig deute, verschwindet die Gruppe in geordneter Formation hinterm Spreeknie. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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