Mit einer Soap-opera gegen den Krieg

Kann man mit Medien in Konflikte eingreifen? Eine Schweizer Stiftung gründet Radiosender in Bürgerkriegsländern, um die Bevölkerung mit unabhängiger Information zu versorgen – sie nennen sich „Medienblauhelme“  ■ Von Martin Zint

Journalisten mag der Mann aus Liberias Regierung nicht sonderlich. Wer nichts gelernt hat, außer lesen und schreiben, der ergreife den Beruf des Schreiberlings. So sagt es Alfred Kulah, der Vizewirtschaftsminister des afrikanischen Landes auch öffentlich. Sein Chef, der gewählte Präsident Liberias und vorher mächtigste Milizenchef, Charles Taylor, läßt Journalisten schon mal von seinen Leibwächtern verprügeln. Kritische Zeitungen und Radiostationen werden von ihm immer mal wieder zeitweise verboten. Nichts Ungewöhnliches im Verhältnis von Medien und Staat in Afrika.

Ungewöhnlich ist dagegen eine Initiative internationaler Organisationen in Liberias Medien: Genau vor einem Jahr hat die Schweizer Stiftung Hirondelle mit Star- Radio einen leistungsstarken Radiosender in der Hauptstadt Monrovia eingerichtet, der in 17 lokalen Sprachen sendet. Nach sieben Jahren Bürgerkrieg gab es in Liberia zu diesem Zeitpunkt zwar schon Waffenruhe, aber noch keine demokratisch legitimierte Regierung. Noch bei den letzten großen Kämpfen des Krieges im April 1996 hatte Charles Taylor systematisch alle Sender im Land zerstören lassen und sich damit ein Monopol für den eigenen Sender, Kiss FM, aufgebaut. In einem Land, in dem 80 Prozent der Bevölkerung nicht lesen können, hatte der Milizenchef danach ein faktisches Informationsmonopol.

Ein klassischer Fall für eine Intervention der Fondation Hirondelle (Stiftung Schwalbe). Ihr Ziel ist es laut Satzung, „einer durch Konflikte oder Naturkatastrophen von Nachrichtenquellen abgeschnittenen Bevölkerung nützliche, unparteiische und unabhängige Nachrichten anzubieten“. Star-Radio, das kurz vor den Parlamentswahlen zu senden begann, ist nur ein Beispiel für diese Arbeit.

Die durch den Krieg lange an ihrer Arbeit gehinderten Journalisten gingen mit solchem Elan an die Sache, daß George Bennett, der britische Programmdirektor, die Leute mit Nachdruck zum Schlafen nach Hause schicken mußte. Die Erfolge können sich sehen lassen: Star-Radio sendet u.a. Suchmeldungen für Familien, die sich durch die Flucht aus den Augen verloren haben. „Innerhalb von 24 Stunden hatten wir bisher in jedem Fall Nachricht über Verwandte oder Freunde“, sagt Bennett. In der praktischen Arbeit wird der Sender vom Talking Drum Studio unterstützt, das die US-Organisation SFCG („Search for Common Ground“) eingerichtet hat. Im Widerstand gegen den Vietnamkrieg entstanden, entwickelt SFCG heute Ideen, wie man Konflikte ohne militärische Mittel lösen kann. Die Medienarbeit spielt dabei eine wichtige Rolle. In Burundi recherchieren Reporterteams aus den verfeindeten Bevölkerungsgruppen der Hutu und Tutsi gemeinsam. In Talkshows werden die Gesprächspartner nicht aufeinander gehetzt: Die Moderatoren werden in speziellen Programmen dazu trainiert, den Dialog zwischen verfeindeten Gruppen zu fördern.

Und in einer regelmäßig produzierten Soap-opera geht es nach Art der „Lindenstraße“ darum, wie eine Hutu- und eine Tutsi-Familie Probleme des Alltags gemeinsam meistern. In Liberia sieht das Prinzip ganz ähnlich aus: Dort produziert das Talking Drum Studio Hörfunknachrichten, Berichte und Radiospots zur Förderung von Menschenrechten und Versöhnung. Die Produktionen werden allen Radiostationen in Liberia kostenlos zur Verfügung gestellt.

Wie nötig solch kurzfristige mediale Intervention sein kann, zeigt das Beispiel aus Ruanda. Als dort im April 1994 Angehörige der Hutu Massaker an Tutsi verübten, war verläßliche Information lebenswichtig. Aber die Radios der Region waren unter Kontrolle der Hutu. Insbesondere ein Sender, Radio Mille Collines, heizte die Massaker zusätzlich an und entwickelte sich zu einem regelrechten Verkehrsfunk für die Schlächter. Schweizer Journalisten handelten unmittelbar. Mit Unterstützung der Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen brachten sie einen Radiosender in die Region und stellten lokale Journalisten ein. Das war die Geburtsstunde der Stiftung Hirondelle. Gesendet wurde zunächst aus Goma und Bukavu im damaligen Zaire, nahe der Grenze zu Ruanda, denn die dortige Regierung wollte die neutralen Radios auf ihrem Territorium nicht dulden. Der Sender in Goma mußte schon bald den Betrieb wieder einstellen, aber in Bukavu sendete Radio Agatashya, bis es 1996 von Kabilas Soldaten zerstört wurde.

Heute betreibt die Stiftung neben Star-Radio in Liberia noch eine Agentur im tansanischen Arusha. Sie verbreitet Nachrichten von der Arbeit des Internationalen Tribunals, das die Kriegsverbrechen in Ruanda juristisch aufzuarbeiten versucht. Faktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit, denn kein großer Sender und keine Nachrichtenagentur hat dort Korrespondenten. Eine kleine Equipe von lokalen und Schweizer Journalisten versucht, für die Ergebnisse Öffentlichkeit herzustellen. Täglich gehen ihre Meldungen in die Zentralen der großen Nachrichtenmedien und sind per Internet weltweit abrufbar (http://www. hirondelle.org).

Das New Yorker „Center for War, Peace and the News Media“ zählt weltweit 150 Projekte auf, in denen Medien zur Konfliktbearbeitung eingesetzt werden. Viele dieser Projekte scheitern, weil es keine rechtliche Grundlage für sie gibt. Als Anfang des Monats in Genf 50 Medienpraktiker, Wissenschaftler und Politiker über diese Schwierigkeiten diskutierten, ging es vor allem um die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage man unparteiische Information in Konfliktregionen verbreiten kann. Mit dem stellvertretenden Minister aus Liberia war immerhin ein afrikanischer Regierungsvertreter der Einladung gefolgt – die meisten hatten gar nicht reagiert. Dabei sind Regierungen wichtigster Ansprechpartner. Sie müssen ihre Zustimmung geben, wenn z.B. Radiosender eingerichtet werden sollen. Denn es gibt kein Recht, das der internationalen Gemeinschaft gestattet, sich derart in die inneren Konflikte eines Landes einzumischen, sagten die Völkerrechtsexperten auf der Tagung.

Aber sie hatten auch einen Tip: Nach der Genfer Konvention dürfen internationale Organisationen wie die UNO dann eingreifen, wenn die humanitären Grundbedürfnisse nicht mehr gesichert sind. Diese dürfen sie wiederherstellen – auch ohne Einverständnis der Machthaber. Der Zugang zu unparteiischer Information, sagen die Aktivisten, sei ein solches fundamentales Grundbedürfnis. So wie die Lieferung von Nahrung und Decken. Daraus folgt für sie die Forderung nach einer Internationalen Konvention für Information, die den Einsatz von „Medienblauhelmen“ festschreibt. Jean- Marie Etter, der Präsident der Fondation Hirondelle: „Journalisten, die solche Medien auch unter großem persönlichen Risiko produzieren möchten, gibt es fast überall auf der Welt. Sie brauchen nur die Gelegenheit dazu.“