Die Mär vom friedenerzwingenden Diplomaten

Der US-Vermittler Richard Holbrooke hat detailliert die Genesis des Bosnienkonfliktes und den Verlauf der Friedensverhandlungen nachgezeichnet, dabei jedoch einige wesentliche Striche vergessen. Zum Vorschein kam sein eigenes Konterfei  ■ Von Andreas Zumach

Wer hat schon während der Verhandlungen über das Dayton- Abkommen ein klares Mandat der Nato-geführten Truppen in Bosnien zur Festnahme mutmaßlicher Kriegsverbrecher gefordert?

Wer plädierte – ebenso ergebnislos – für die Schaffung einer starken internationalen Polizeitruppe und die Vereinigung aller militärischen Kräfte in Bosnien- Herzegowina zu einer Armee?

Wer setzte – gegen anfangs erheblichen Widerstand von Pentagon und Nato – schließlich durch, daß das Dayton-Abkommen wenigstens klare Regeln über den Rückzug und die internationale Kontrolle aller schweren Waffen enthält?

„Richard Holbrooke“ lautet die Antwort auf diese und zahlreiche ähnliche Fragen. Jedenfalls sucht der ehemalige Bosnien-Vermittler und künftige UNO-Botschafter der Clinton-Administration in seinem kürzlich erschienenen Buch „To End a War“ (Random House, New York) nach Kräften diesen Eindruck zu erwecken.

„Das größte Debakel des Westens 1991–93“. Unter dieser Überschrift beschreibt der 57jährige Karrierediplomat und zweitweise Banker in den ersten Kapiteln äußerst kritisch die „schweren Fehleinschätzungen“ der USA und der EU, ihre gescheiterte Balkandiplomatie in den ersten drei Kriegsjahren – bevor er selber im September 1994 zum Chef der Europa-Abteilung des State Departments benannt wurde und im Sommer 1995 die Rolle des Chefvermittlers auf dem Balkan übernahm.

Bis 1994 hatte sich Holbrooke als Vertreter einer in Ex-Jugoslawien tätigen Flüchtlingsorganisation (Refugees International) mit dem Bosnienproblem befaßt und ihm bekannten Mitgliedern der Clinton-Administration diverse Vorschläge für ein „richtiges Vorgehen“ der USA und ihrer Verbündeten unterbreitet.

Der Hauptteil des Buches ist Holbrookes eigener Pendeldiplomatie zwischen den Hauptstädten Ex-Jugoslawiens, der EU-Staaten und der USA zwischen Ende August und Ende Oktober 1995 gewidmet sowie den anschließenden 21tägigen Verhandlungen mit den Präsidenten Bosniens, Kroatiens und von Serbien/Montenegro auf einem streng abgeschirmten Luftwaffenstützpunkt in Dayton, Ohio. In einem Epilog zieht der ehemalige US-Unterhändler eine kritische Bilanz der Umsetzung der Friedensvereinbarung bis zum April dieses Jahres.

Ausführlich schildert Holbrooke die unzähligen Debatten, Differenzen und bleibenden Zerwürfnisse, die die Ereignisse in Ex- Jugoslawien seit 1991 ausgelöst haben: innerhalb der Administration in Washington zwischen Pentagon, State Department, Nationalem Sicherheitsrat und Kongreß; in der Nato zwischen den USA und ihren europäischen Verbündeten; zwischen Rußland und dem Westen; und natürlich zwischen den internationalen Vermittlern und den Politikern der diversen exjugoslawischen Republiken.

Doch fast ausnahmlos dienen diese Schilderungen Holbrooke als Kontext,die eigene Rolle ins positive Licht zu heben. Fast immer lag der US-Vermittler mit seiner politischen Einschätzung und Verhandlungsstrategie richtig und setzten sich seine Vorschläge schließlich auch gegen massive Widerstände durch. In den Fällen, in denen dies nicht geschah (siehe oben), bestätigte die spätere Entwicklung, daß Holbrooke recht gehabt hatte. Eigene Fehler, von denen Holbrooke in dem immerhin knapp 600seitigen Buch lediglich zwei einräumt, bestehen darin, nicht konsequent auf der eigenen Position beharrt zu haben.

„Holbrooke war es, der den Krieg auf dem Balkan beendete“ – an dieser Legende strickt auch der Hamburger Piper-Verlag auf dem Umschlag für die kürzlich erschienene deutsche Übersetzung des Buches („Meine Mission – Vom Krieg zum Frieden in Bosnien“). Schon wer lediglich als journalistischer Beobachter an zahlreichen der von Holbrooke geschilderten Ereignisse und Verhandlungen beteiligt war, kann in alldem nur eine eitle Geschichtsklitterung erkennen. Hochinteressant wäre es, einmal ähnlich ausführliche Darstellungen anderer direkt Beteiligter zu lesen. Vor allem von dem von Holbrooke ausdrücklich gelobten deutschen Diplomaten Michael Steiner, seit 1994 Bonner Vertreter in der Bosnien-Kontaktgruppe und nach Abschluß des Dayton- Abkommens fast zwei Jahre lang stellvertretender Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Sarajevo; oder von Steiners britischer Kollegin in der Kontaktgruppe, Pauline Neville-Jones, der Holbrooke mehrfach schlechte Noten erteilt.

Steiner, Neville-Jones und ihre beiden Kontaktgruppen-Kollegen aus Frankreich und Rußland wüßten sicher auch die wesentliche Lücke zu füllen, die Holbrooke offenläßt: die Wochen und Monate, bevor Anfang Juli 1995 Truppen Serbiens und der bosnischen Serben die UNO-Schutzzone Srebrenica eroberten, ihre 40.000 muslimischen Einwohner vertrieben und anschließend fast 8.000 wehrlose Zivilisten massakrierten.

In „Srebrenica ereignete sich der größte Massenmord auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg, doch der Rest der Welt tat nichts, um die Tragödie aufzuhalten“, schreibt Holbrooke. Doch warum tat die Clinton-Administration, die (ähnlich wie die Regierungen in Paris und Bonn) durch Geheimdienstberichte schon Wochen vor dem Angriff auf Srebrenica über die entsprechenden Pläne und Vorbereitungen informiert war, nichts, um die Vertreibung der Muslime und diesen „größten Massenmord“ zu verhindern? Zu diesem Thema äußert sich Holbrooke mit keiner Silbe. Welche Signale für einen Gebietsaustausch zwischen den drei bis dato muslimischen Enklaven in Ostbosnien und serbisch kontrolliertem Gebiet in Westbosnien erhielten Slobodan Milošević sowie bosnische Regierungsmitglieder und Militärs in den zahlreichen „intensiven Gesprächen“ (S.109), die insbesondere der damalige US-Vermittler Robert Frasure, aber auch andere Mitglieder der Kontaktgruppe seit Frühjahr 1995 mit ihnen führten? Holbrooke, ansonsten um detaillierte Darstellung der diplomatischen Aktivitäten bemüht sowie um die Analyse öffentlich behaupteter und versteckter Motive der verschiedenen Akteure, handelt diese „intensiven Gespräche“ nur mit zwei, drei summarischen Sätzen ab. Frasure kann zu diesem weiterhin dringend klärungsbedürftigen Kapitel der bosnischen Tragödie nicht mehr befragt werden. Zusammen mit zwei weiteren Mitgliedern des damaligen US-Vermittlerteams kam er am 19. August 1995 bei einem Unfall ums Leben. Sein Jeep kam auf dem Weg zu Vermittlungsgesprächen in Sarajevo am Berg Igman von der Straße ab und stürzte in einen Abgrund. Holbrooke und der heutige Nato-Oberbefehlshaber General Wesley Clark, die in einem zweiten Jeep saßen, kamen mit dem Schrecken davon.

Holbrooke beginnt sein Buch mit der ausführlichen Schilderung dieses tragischen Unglücks und der Trauerfeierlichkeiten in den USA. Im weiteren Verlauf kommt er immer wieder und zumeist sehr emotional auf dieses Thema zurück und beschreibt zuletzt die mehrfachen Besuche der Witwen und Kinder der drei getöteten US- Vermittler bei den Dayton-Verhandlungen. Fragen nach den Themen, die Frasure und sein Team in ihren letzten Lebensmonaten in Belgrad und Sarajevo besprochen haben, erscheinen da fast nicht mehr statthaft.

Auch wenn Holbrooke Aufschlüsse zum Thema „Srebrenica“ schuldig bleibt, liefert er doch eine Reihe hochinteressanter Details, die bislang entweder gar nicht bekannt oder zumindest einer breiteren Öffentlichkeit nicht bewußt waren. So gab es laut Holbrooke für die zweiwöchigen massiven Luftangriffe der Nato auf bosnisch-serbische Stellungen im August/September 95 nicht den erforderlichen Beschluß des zuständigen Nato-Rates. Wegen der zu erwartenden Widerstände bei einigen europäischen Bündnispartnern wurde die „Operation Deliberate Force“ – immerhin der erste Krieg der Nato in ihrer fast fünfzigjährigen Geschichte – auf Druck der USA vom damaligen Generalsekretär Willy Claes angeordnet, der den Nato-Rat lediglich nachträglich informierte. Neben Claes habe der damalige Untergeneralsekretär der UNO für friedenssichernde Maßnahmen, Kofi Annan, den USA „am meisten geholfen“, die Bombenangriffe zu ermöglichen, schildert Holbrooke die nachträgliche Einschätzung in der Clinton-Administration.

In Abwesenheit von Generalsekretär Butros Butros Ghali habe Annan nach Verhandlungen mit Washingtons damaliger UNO- Botschafterin Madeleine Albright „die Zivilbeamten und Militärkommandeure der UNO angewiesen, für einen befristeten Zeitraum auf ihr Vetorecht gegen Bombenangriffe der Nato in Bosnien zu verzichten“. Annans „beherztes Handeln“ sei „mitentscheidend dafür gewesen“ daß die Clinton- Administration ihn im Herbst 1996 als Nachfolger des in Washington ungeliebten Butros Ghali durchgesetzt habe.

Bei allem Hang zur positiven Selbstdarstellung beweist Holbrooke in seinem Buch einen für US-amerikanische Politiker und Diplomaten unserer Zeit nicht gerade typischen langen Atem und Prinzipientreue. Trotz seiner eigenen, zum Teil massiven Kritik an der Umsetzung des Dayton-Abkommens verteidigt Holbrooke das Ziel, Bosnien-Herzegowina als einheitlichen, multiethnischen Staat zu erhalten, ausdrücklich auch gegen gewichtige Kritiker wie Henry Kissinger, die für eine Teilung des Landes plädieren. Zugleich vermeidet Holbrooke den Fehler, das Muster seiner Bosnien- Diplomatie als einfach übertragbar auf andere Konflikte zu empfehlen.

Das Scheitern seiner bisherigen Bemühungen im Kosovo wie in Zypern läßt diese Zurückhaltung klug erscheinen. Auch gerade mit Blick auf Holbrookes Bestreben, bei einer Wahl Al Gores zum US- Präsidenten im Jahr 2.000 Außenminister zu werden.

Richard Holbrooke: „Meine Mission. Vom Krieg zum Frieden in Bosnien“. Piper Verlag, München 1998, 576 Seiten, 48 DM