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Die Hügel-Taktik der Termiten

Als Ehepaar arbeiten sich Nancy Spero und Leon Golub seit den sechziger Jahren an Krieg, Folter und männlicher Gewalt ab. Das Festspielhaus Hellerau in Dresden zeigt Arbeiten der beiden Polit-KünstlerInnen  ■ Von Katrin Bettina Müller

Nicht auszudenken, wie die Welt aussähe, wenn Feminismus und Antiimperialismus immer so gut kooperiert hätten wie in den Werken von Nancy Spero und Leon Golub. Die Kriege des amerikanischen Künstlerpaares finden an verschiedenen Schauplätzen statt, die sie in schönster Eintracht nebeneinander aufbauen. Seit Anfang der sechziger Jahre halten sie vereint die politische Botschaft der Kunst hoch und vergnügen sich dennoch in getrennten ästhetischen Gebieten.

Beide arbeiten mit Archiven von Figuren, die quer durch die Geschichte auf uns zukommen. Die nehmen, je öfter sie wiederholt werden, auch die Funktion eines Geleitzuges für den Weg der beiden Künstler selbst an. Was sich einst als betont körperhafte Malerei gegen das Verschwinden des Menschen aus der künstlerischen Darstellung und Verantwortung wandte, ist in ihren Installationen im Festspielhaus Hellerau zart und durchscheinend geworden.

Man könnte befürchten, daß sich Nancy Speros Ikonen des Weiblichen verbrauchen. Seit Jahren schickt sie Urmütter und Göttinnen, griechische Tänzerinnen und Wächter-Figurinen ins Rennen gegen männliche Definitionsmacht. Mit Schablonen und Stempeln wird ihr sich ständig vergrößerndes Personal, inzwischen mit Hilfe von Assistenten, auf die Wände der Ausstellungsorte gedruckt. Doch die Wiederholung der Motive bedeutet Rhythmisierung und Ritualisierung, die Partitur ihres Tanzes über die Wände verändert sich mit jedem Ort. Theoretische Trennschärfe zwischen Mythen und ihrer Funktionalisierung in der Geschichte ist zwar kein Thema für Spero. Trotzdem hat sie rhetorischen Figuren der feministischen Theorie zu emblematischer Bildhaftigkeit verholfen – etwa den Schlangenzungen, die überall als Symbol für die Sprachlosigkeit der Frau und ihre Verteufelung präsent sind.

Auf der brüchigsten Wand von ganz Hellerau, zwischen den Pavillons des Vorplatzes, beginnt ihre Installation mit dem irischen Muttermonster Sheela-Na-Gog, die ihre Vulva mit beiden Händen so weit wie ein grinsendes Maul aufreißt. Natürlich liegt Sheelas Macht in der Drohung, diesen Schlund jederzeit zuschnappen zu lassen. Auf dem verwitterten Putz tanzt sie in der Chorus Line, leuchtet in allen Farben des Graffiti und zeigt sich durchaus nicht abgeneigt, im heutigen Spiel von Logos und Markennamen mitzumischen. Kleiner und subtiler setzen die von den Aborigines geborgten Figuren an, die mit gespreizten Gliedern insektengleich über die Treppe auf das steile Portal des Festhauses zuhuschen. Dort überspringen sie das Weiß des frisch renovierten Foyers, um sich in einem Gang, auf dessen Wänden noch alle Farbschichten der wechselnden Besetzungen des Hauses übereinanderliegen, in diesen Zeithorizonten zu verlieren. Wie freigelegte Fresken erscheinen im fleckigen Putz die geflügelte Gorgo oder eine Frau im roten Cape, die von einer russischen Künstlerin während der Revolution entworfen wurde und nun einer Vorwegnahme von Batwoman ähnelt.

Das Oberlicht und die klassischen Proportionen der Wandfelder, mit denen der Architekt Heinrich Tessenow die Antike in dem Festspielhaus zitierte, lassen den kleinen Saal als einen Tempel erscheinen, in den nun Göttinnen und Wächterinnen zurückgekehrt sind, Trauernde und Verfolgte Schutz finden. Die freigelegten Backsteine und der poröse Putz verschlucken fast die Farben der Figuren, und die Geschichte des Ortes verschmilzt mit der mitgebrachten Prozession.

Als eine Elegie sieht Spero den kleinen Saal, dessen ruinöser Zustand die Emotionalität ihrer Arbeit noch verstärkt. Hier sei ihr als Amerikanerin die Geschichte des Zweiten Weltkriegs spürbar nahegekommen, erzählt sie. Das Festspielhaus, das bis 1914 Zentrum lebensreformerischer Strömungen und neuer Tanz- und Theaterkonzepte gewesen war, hatte ab 1937 zuerst der Reichspolizei, dann Wehrmacht und SA gedient. Vom Kriegsende bis 1992 wurde es von der Roten Armee genutzt; seitdem wird es schrittweise als kulturelle Bühne zurückerorbert.

Die Wandbilder, die der Glorifizierung der Roten Armee im Treppenhaus dienten, geben jetzt einen Sparringspartner für Leon Golub. Seit dem Vietnamkrieg beschäftigt sich der Maler mit Szenen von Gewalt, Folterung und Mord, die er in monumentalen Gemälden aufgriff. Golubs Bilder bezeugten nicht nur die Anklage und das Mitleiden, sondern gestanden auch die Faszination an der Gewalt ein.

Doch sein Festhalten am aufklärerischen Gestus ist brüchig geworden. Zwar läßt er nicht nach in der Aufzählung der Orte des Schreckens. In Hellerau bringt er Zitate aus eigenen Bildern mit Fotos aus Konzentrationslagern, von niedergeschlagenen Demonstranten in Japan, von gefesselten Händen und Nahaufnahmen Ermordeter zusammen. Mit Reproduktionen von Reliefs der Assyrer und nubischen Skulpturen verlängert er diese Dokumentation der Grausamkeit bis in frühgeschichtliche Zeiten. Aber alle Motive erscheinen auf „transparencies“, durchscheinenden Folien, die sich im Raum überschneiden. Wir sehen durch sie hindurch auf weitere Bilder und in unsere eigene Gegenwart. Die Toten begleiten die Lebenden; ihre Handlungen ändern sie nicht. Sie sind zu Schatten geworden, von deren Gegenwart man weiß, ohne sie zu berücksichtigen. So erzählt Golub auch vom Zweifel an der Macht der Bilder und der Information.

Eines kommt in den Arbeiten von Spero und Golub nicht vor: ihr eigener Dialog, das Einverständnis, sich dem politisch und historisch Verdrängten zu widmen. „Manchmal wundere ich mich“, schrieb Leon Golub 1983 über die Beziehung ihrer Arbeiten, „versucht sie mich zu beschämen? All diese kleinen Figuren, minutenweise. Manche nur ein halbes Inch groß. Wie Termiten! Um Giganten zum Wackeln zu bringen?“ Und weiter mimt er den Riesen und männlichen Part in den Szenarien der Gewalt.

Vielleicht ist die feste Rollenverteilung in ihrer Kunst auch die Fortsetzung einer Liebesgeschichte, wer kann das schon wissen. In Hellerau hatten beide alle Hände voll zu tun: Nancy Spero mußte mit Journalisten reden, sich bei den Assistenten bedanken und Widmungen schreiben; Leon Gollub dagegen mußte ihre zerbrechliche Gestalt immer wieder aus diesem Pulk loseisen, zum Lunch lotsen und zur Mittagsruhe überreden. Privat hat der Rollentausch wohl längst stattgefunden.

Nancy Spero und Leon Golub, bis 9.8., Festspielhaus Hellerau, Karl- Liebknecht-Str. 56, Dresden

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