Leben auf Pudding

In 50 abgefederten Wohnungen in Eilbek bleiben trotz S-Bahn die Tassen im Schrank  ■ Von Sandra Jessel

Vor Helmut Arndts Schlafzimmer rauscht eine schwere Diesellok vorbei. Doch er hört in seinem Bett nur ein leichtes Zischen. Keine Erschütterung, keine klirrenden Tassen im Schrank. Denn das Haus, in dem Helmut Arndt wohnt, steht auf 100 überdimensionalen Stahlfedern.

Mit diesem ungewöhnlichen technischen Trick hat die Saga ein auf den ersten Blick unbebaubares Grundstück in der Hasselbrookstraße in Eilbek erschlossen. Nur wenige Meter neben einer stark befahrenen viergleisigen Bahntrasse entstanden dort 148 neue Wohnungen, 50 davon „gefedert“. Die letzten wurden nun bezugsfertig.

Jahrzehntelang traute sich kein Bauherr an die Fläche, an der täglich bis zu 200 S-Bahn- und Regionalzüge vorbeibrausen. Als städtebauliche und architektonische Herausforderung schrieb die Bauherrin Saga schließlich einen Wettbewerb aus. Vorausgegangen waren seismographische Bodenmessungen, die die Unbebaubarkeit zunächst bestätigten. Denn nicht nur künftige BewohnerInnen, sondern auch die Bausubstanz werde durch die andauernden Erschütterungen gefährdet, hieß es.

Statiker, Architekten und Schwingungstechniker fanden schließlich die Lösung: 100 Stahlfeder-Pakete. Diese Kästen enthalten jeweils mehrere etwa 40 Zentimeter hohe Stahlfedern und wurden im Abstand von je drei Metern unter den Wohnungen eingebaut. Auf ihnen lasten gut 6000 Tonnen Gewicht. „Die Häuser stehen wie auf einer gallertartigen Masse, die die Erschütterungen abfedert“, erläutert Reinhold Ostendorf von der Saga. Allerdings dürfe man sich die Federn nicht wie Matrazenfedern vorstellen, erklärt ein Bauingenieur der Herstellerfirma. Die Abfederung sei so gering, daß man sie mit bloßem Auge gar nicht wahrnehme.

Im grünen Innenhof der Wohnanlage spielen heute Kinder. Eine sechs Meter hohe Mauer schützt sie vor dem Zuglärm. Insgesamt 400 Menschen leben in den neuen Wohnblöcken. Das Gefühl, auf Federn zu wohnen, stört Mieterin Birgit van Hettinga nicht: „Wenn ich das Gefühl hätte, hier schwankt und wackelt alles, wäre ich schon längst ausgezogen.“ Eine andere Bewohnerin ist froh, daß sie auf den Federn wohnt. Spüre man vor der Haustür ein leichtes Wackeln, herrsche in der Wohnung angenehme Ruhe. Messungen haben ergeben, daß 98 Prozent der Erschütterungen abgefangen werden und somit „unter der Fühlgrenze“ liegen.

Die Kosten für die schwingenden Wohnungen lagen mit 28 Millionen Mark etwa zehn Prozent höher als im regulären Wohnungsbau. Mehrfamilienhäuser auf der grünen Wiese außerhalb der Stadt würden aber viel teurer kommen, weil die nötige Infrastruktur fehle, meint Ostendorf. Und inzwischen zögen die gefederten Häuser Baufachleute aus ganz Deutschland an, die von der neuen Technik profitieren wollten.