Vergewaltigung als Waffe im Krieg

Ein Urteil des Haager Tribunals wegen sexueller Gewaltverbrechen im Krieg steht noch aus. Die Zuständigkeit eines internationalen Strafgerichts ist ebenfalls strittig  ■ Von Andreas Zumach

Genf (taz) – Bleibt eines der häufigsten Kriegsverbrechen der letzten Jahrhunderte, die oft systematische Vergewaltigung von Frauen, straflos? Vor dem Den Haager Tribunal für Kriegsverbrechen in Exjugoslawien wurde die für heute vorgesehene erste Verurteilung eines Angeklagten wegen sexueller Gewalttaten auf unbestimmte Zeit verschoben. Und bei den bis Freitag anberaumten Verhandlungen über das Statut eines permanenten Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) wird über die Aufnahme und Definiton sexueller Gewalttaten als Kriegsverbrechen weiter gestritten.

Vor dem Haager Tribunal war für heute die Urteilsverkündung im Verfahren gegen Anto Frundzija angekündigt. Als ehemaliger Kommandant der bosnisch-kroatischen Militäreinheit „Die Joker“ soll er für die mehrfache Vergewaltigung einer Muslimin durch einen seiner Untergebenen während des Bosnienkrieges im Jahr 1993 verantwortlich sein. Die Anklage fordert Haft von fünf bis acht Jahren, die Verteidigung plädiert auf Freispruch. Das mutmaßliche Opfer ist zugleich die einzige Belastungszeugin. Strategie der Verteidigung war es, die Glaubwürdigkeit der Muslimin zu erschüttern. Mit einem neuen Beweisantrag, nachdem die RichterInnen die Beweisaufnahme bereits abgeschlossen hatten, bewirkte die Verteidigung die Verschiebung der Urteilsverkündung. Ein neuer Termin wurde bislang nicht angesetzt.

Erst durch den Bosnienkrieg der Jahre 1992/93 kam das nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang tabusierte Thema sexueller Gewalttaten im Krieg auf die Tagesordnung – zumindest in Europa und den USA. Seriösen Untersuchungen zufolge wurden während des Bosnienkriegs mindestens 20.000 Frauen vergewaltigt. Die Opfer waren fast ausschließlich muslimische Frauen, die mutmaßlichen Täter in über 80 Prozent der Fälle serbische Männer. Diese Vergewaltigungen waren Teil der serbischen Strategie zur „ethnischen Säuberung“, nicht selten mit dem erklärten Ziel einer erzwungen Schwangerschaft.

Die Ereignisse in Bosnien führten dazu, daß im Statut für das Den Haager Tribunal sexuelle Gewalttaten ausführlicher als jemals zuvor in einem völkerrechtlichen Dokument als Kriegsverbrechen definiert werden. Zwei Drittel der bislang vor dem Tribunal angeklagten 79 Männer werden auch oder gar ausschließlich sexuelle Gewalttaten zur Last gelegt.

Der für heute angekündigte Richterspruch im Verfahren gegen Furundzija wäre erst das dritte Urteil des Tribunals seit seiner Etablierung 1994. Auch der bosnische Serbe Dušan Tadić, der im Mai 1996 als erster Angeklagter vor dem Tribunal erscheinen mußte, war zunächst neben anderer Verbrechen auch wegen Vergewaltigung und sexueller Folter einer Muslimin angeklagt. Doch die Anklage mußte diesen Vorwurf am ersten Verfahrenstag zurückziehen. Die sechs vor Beginn des Verfahrens einvernommenen Zeuginnen waren nicht bereit, vor Gericht ihre Aussagen unter Offenlegung ihrer Identität und im Angesicht Tadić' und seiner Verteidigung zu wiederholen. Sie fürchteten Repressalien in ihrer Heimat gegen sich und ihre Familien.

Der ausreichende Schutz von Opfern und ZeugInnen ist insbesondere bei Verfahren über sexuelle Gewalttaten weiter eines der größten Probleme des Jugoslawientribunals. Aufgrund dieser Erfahrungen bemühen sich Menschenrechts- und Frauengruppen, aber auch die dänische und einige andere Regierungen bei den Verhandlungen um einen ICC darum, viel weitergehende Opfer- und ZeugInnenschutzbestimungen durchzusetzen. Doch derzeit ist noch nicht einmal sicher, in welcher Form „sexuelle Gewalttaten“ als Kriegsverbrechen in einem ICC-Statut definiert werden. Der Vatikan wehrt sich gegen die Aufnahme der Formulierung „erzwungene Schwangerschaft“, weil dies „als Vorwand für Abtreibungen dienen könnte“. Die Frauen- und Menschenrechtsgruppen werfen dem Vatikan vor, er wolle den beim UNO-Menschenrechtsgipfel 1993 erzielten und seitdem bekräftigten Konsens zurückdrehen.