„Wir werden marschieren, und wenn wir ein ganzes Jahr warten müssen.“ Die Mitglieder des protestantischen Oranier-Ordens, die das katholische Viertel von Portadown blockieren, marschierten auch gestern wieder durch einige Orte Nordirlands. Nicht mal die Aufforderung der Polizei, wenigstens die Trauerfeierlichkeit für die drei ermordeten katholischen Jungen zu respektieren, hinderte radikale Oranier daran, zu paradieren. Aus Portadown Ralf Sotscheck

„Sie müssen nur mit uns reden“

Es sei die wohl längste Straße der Welt, sagt Mark: „Seit neun Tagen versuchen sie nun, über die Straße zu marschieren, und sind immer noch nicht an deren Ende angekommen.“ Kurz vor dem Kreisverkehr an der Garvaghy Road haben Armee und Polizei die Straße gesperrt. Seit dem 5. Juli stehen die protestantischen Oranier vor der Stahlbarrikade am anderen Ende der Garvaghy Road im nordirischen Portadown. Sie wollen im Gedenken an die Schlacht an der Somme durch das katholische Viertel marschieren – ein Ansinnen, das von der zuständigen Regierungskommission verboten worden ist.

Mark, Mitte 30, arbeitet in einer Hühnchenfabrik in Portadown. „Als Betriebsrat muß ich Katholiken und Protestanten vertreten“, sagt er. „Die Kollegen bitten mich oft um Hilfe, denn bei Streitigkeiten mit der Betriebsleitung habe ich in den vergangenen fünf Jahren nur zweimal den kürzeren gezogen. Viele meiner Kollegen stehen auf der anderen Seite der Barrikade und belagern uns. Auf der Arbeit soll ich ihnen helfen, außerhalb der Fabrik würden sie mir am liebsten den Hals umdrehen. Ich darf gar nicht daran denken, daß ich nächste Woche wieder in die Fabrik muß.“

Mark hat sich zwei Wochen Urlaub genommen, die meisten in Nordirland machen Ferien, wenn der 12. Juli herannaht, der Feiertag in Erinnerung an den protestantischen Sieg 1690 in der Schlacht am Boyne – die einen, um mit Umzügen und Freudenfeuern zu feiern; die anderen, um zu verreisen, wenn sie genügend Geld haben, oder um wenigstens zu Hause ihre Ruhe zu haben, bis der Rummel vorüber ist.

Auf der Garvaghy Road haben sie seit vorletztem Sonntag keine Ruhe. „Wir haben ein paarmal versucht, in die Stadt zu fahren oder Freunde zu besuchen“, sagt Marks Frau Irene. „An den Absperrungen sind wir umgekehrt, weil auf der anderen Seite Oranier standen.“ Irene arbeitet in einer Hemdenfabrik in Portadown, 99 Prozent der Kolleginnen sind protestantisch. „Ich bin in England aufgewachsen“, sagt sie. „Ich fühlte mich immer als Engländerin. Aber seit die Oranier uns Jahr für Jahr terrorisieren, bezeichne ich mich als Irin.“ Seitdem reden die Kolleginnen nicht mehr mit ihr. „Wenn ich den Raum betrete, verstummen die Gespräche.“

Auf der anderen Seite der Absperrung haben sich inzwischen drei Dutzend Oranier versammelt, andere fahren mit ihren Autos im Kreisverkehr herum, halten ihre Fahnen aus dem Fenster und hupen. Im Nu marschieren Soldaten und Polizisten in Kampfanzügen auf, zwei rote Lieferwagen mit Schäferhunden rasen mit Blaulicht heran. „Die Polizisten müssen sich maskieren“, sagt Irene. „Neulich ist ein Beamter von einer Horde junger Oranier erkannt worden, sie riefen ihm seinen Namen und die seiner Kinder zu. Er warf seine Mütze weg und kündigte. Das sei es ihm nicht wert, sagte er.“

Bis Montag abend hatte man an der Kirche von Drumcree in Portadown 50.000, vielleicht sogar doppelt so viele Oranier erwartet, die nach den 550 Paraden, die Sonntag und Montag im ganzen Land stattfanden, nach Drumcree kommen wollten. Doch der Tod von Richard, Mark und Jason Quinn, den katholischen Jungen, die nach einem Brandanschlag in ihrem Haus in Ballymoney starben, hat die Oranier gespalten. Die Polizei verhaftete vorgestern zwei Männer im Zusammenhang mit dem Mord. Sie sollen Verbindungen zur Ulster Volunteer Force (UVF) haben, deren politischer Flügel im neuen Regionalparlament vertreten ist. Die drei Kinder wurden gestern vormittag in Rasharkin beerdigt.

Die drei Särge waren vorgestern im Haus der Großmutter in Rasharkin aufgebahrt, nur wenige Meter von der Straße entfernt, auf der eine weitere Oranier-Parade stattfand. Die Polizei hatte die Oranier-Kapellen gebeten, wenigstens in der Nähe des Hauses auf Musik zu verzichten. Nicht alle hielten sich daran. Während das Europäische Parlament eine Gedenkminute für die drei Jungen einlegte, ignorierten die Oranier den Mord – keine Schweigeminute, kein Trauerflor.

In Crumlin, wo die katholischen Anwohner wegen des dreifachen Mordes wie auch in Belfast und anderen Städten auf Protestaktionen gegen die Parade verzichteten, rissen die Oranier die schwarzen Trauerfahnen herunter und hängten Schmuckbänder in den britischen Farben Rot, Weiß und Blau auf. Er werde nie wieder an einer Parade teilnehmen, sagte Harry Patton, ein Verwandter der Kinder, der dem Oranier-Orden angehört. In der Nacht tauchte der rechtsradikale protestantische Pfarrer Ian Paisley an der Kirche von Drumcree auf. „Repulsive“, widerwärtig, sei die Tat gewesen, wollte er sagen. Statt dessen aber rutschte ihm „republican“ heraus. Die Republikaner, das sind Sinn Féin und ihr bewaffneter Flügel, die IRA. Und die hätte „viel schlimmere Morde verübt als die Tat von Ballymoney“, sagte Paisley. „Und nun stehen sie als angesehene demokratische Politiker da.“ Mancher Oranier behauptete gar, die Morde hätten gar nichts mit Drumcree zu tun, sondern stünden im Zusammenhang mit Drogengeschäften.

Die drei Dutzend Oranier am Kreisverkehr am Ende der Garvaghy Road haben angesichts des massiven Polizeiaufgebots das Weite gesucht. „Ihr wollt die Sache hier so lange wie möglich herauszögern“, ruft einer den Beamten zu, „weil ihr 120 Mark am Tag kriegt und damit eure Hypotheken bezahlt. Aber wir werden marschieren, und wenn wir ein Jahr warten müssen.“

Von ihm aus könnten sie durch seine Küche marschieren, sagt Mark. „Wenn sie vorher fragen. Darum geht es uns hier. Sie müssen nur mit uns reden, sie müssen akzeptieren, das es uns gibt.“ Vielleicht, so fügt er hinzu, solle man ein paar Bagger besorgen, die gesamte Garvaghy Road aufreißen und sie auf Lastwagen zur Kirche nach Drumcree schaffen. „Dann können sie darüberlaufen, so oft und so lange es ihnen Spaß macht.“