Herr Badii ist lebensmüde

■ Abbas Kiarostamis „Der Geschmack der Kirsche“ zeigt über zwei lange Stunden, wie Herr Badii seinen Sterbehelfer sucht und findet

Es ist schwierig, einen Regisseur nicht zu mögen, wenn ihm die ganze Kinowelt zu Füßen liegt. Von Altmeister Akira Kurosawa bis hin zu Quentin Tarantino finden alle den Iraner Abbas Kiarostami ganz toll. Für die einen ist er „der einzige, der überhaupt noch was zu sagen hat“, die anderen bewundern immerhin seine „poetische Bildsprache“. Aber manchmal ist er auch einfach nur langweilig. Warum spricht das niemand aus? Sein neuester Film gewann letztes Jahr in Cannes die Goldene Palme. Er ist in jedem Fall eine Herausforderung.

Herr Badii ist lebensmüde. Er will sich umbringen. Doch weil er das nicht alleine schafft, sucht er jemandem, der ihm als aktiver Sterbehelfer zur Seite steht. Warum er das Leben nicht länger aushält, bleibt unklar. Da aber die Handlung von Kiarostamis „Der Geschmack der Kirsche“ in den letzten fünf Sätzen schon ausführlich umschrieben wurde, bleibt dem Zuschauer mehr als genug Zeit, sich dieser Frage zu widmen. Ganze zwei Stunden lang.

Ziemlich planlos fährt Herr Badii durch die Hügel um Teheran. Erst die Serpentinenstraßen rauf, dann wieder runter. In seiner nervösen Suche erinnert er schon fast an einen „Taxi Driver“ aus den siebziger Jahren, der ebenso orientierunglos durch eine damals bedrohliche Großstadtkulisse streifte. Ob dieser Gedanke etwas mit dem aktuellen Film zu tun haben könnte, darf der Zuschauer in aller Ruhe reflektieren, während Herr Badii noch ein, zwei Geröllmassen umfährt. 90 Prozent des Films spielen im Auto. Manchmal ist Herr Badii in Großeinstellung zu sehen, meist aber guckt die Kamera aus dem über die Sandpisten rumpelnden Jeep heraus. Keine Musik. Nur das monotone Geräusch des Motors.

Da ist man beinahe dankbar, wenn Herr Badii nach ungefähr einer Stunde mit lautem Krach im Straßengraben landet. Die, deren Gedanken vorher abgeschweift waren, sind nun wieder an Bord. Irgendwann wird Herr Badii seinen Helfer finden. Doch weil Kiarostamis „Filme keine Fragen mehr beantworten“ sollen, bleibt das Ende offen.

Kiarostami gelingt es, bei den iranischen Machthabern regelmäßig Irritationen zu verursachen. Auch wenn ihm offene Regimekritik nur schwer nachzuweisen ist, sind seine Filme doch nur auf den ersten Blick unpolitisch. Denn wenn Herr Badii eines zeigt, dann das: Jeder Mensch hat das Recht, über sein eigenes Schicksal zu bestimmen. Klar, daß diese Aussage den Mullahs im Zentrum der Macht nicht so recht gefallen will. Weil Kiarostami den Glauben an den Film als Medium des Geschichtenerzählens verloren hat, ist es bei ihm zur guten Gewohnheit geworden, den Prozeß des Filmemachens an sich zu thematisieren. In seiner „Erdbeben-Trilogie“ gab er daher vor, ein Filmteam zu begleiten, das die Folgen des (realen) Unglücks dokumentieren will. Und „Der Geschmack der Kirsche“ endet konsequent mit einer Videosequenz des „Making of...“. Darin sieht man den Hauptdarsteller in der Drehpause eine Marlboro rauchen, Soldaten am Straßenrand lümmeln und den Regisseur selbst durch ein Megaphon Anweisungen geben. Das lädt zum Kiarostami-Fan-Test ein: Wer auf die Frage, wie der Film endet, lange nachgrübeln muß, der ist schon früher aus dem Kino gegangen. Alexander Remler

„Der Geschmack der Kirsche“. Regie: Abbas Kiarostami. Mit Homayoun Ershadi, Abdolrahman Bagheri, Iran 1997, 95 Min.