Eine Extraportion Arznei im Mascarpone

Die EU-Kommission erlaubt das Antibiotikum Nisin für Frischkäse. Ein Antrag der Grünen im Europaparlament auf ein Verbot scheiterte gestern knapp. Damit kommen auch andere Zusatzstoffe ins Essen  ■ Aus Straßburg Matthias Urbach

Die EU-Richtlinie 95/2/EG liest sich wie ein Chemielexikon. Da geht es um Propylenglyco-Alginat, um Nisin oder um Sulfite. Doch diese Substanzen sind allesamt Zusatzstoffe für Lebensmittel. Bereits 31 neue Zusatzstoffe gelangten durch die Richtlinie auf den deutschen Markt, nun sollen durch eine Novelle der EU-Kommission weitere umstrittene Stoffe dazukommen.

Allen voran Nisin, eine den Antibiotika vergleichbare Substanz. Die Kommission erlaubt, daß es als Konservierungsstoff in den Frischkäse Mascarpone kommt. „Antibiotika sollte es nur auf Rezept in der Apotheke geben“, sagt Hiltrud Breyer, Berichterstatterin des Europäischen Parlaments (EP) und verantwortlich für die Ausarbeitung einer Abstimmungsvorlage für die Abgeordneten.

„Selbst in der Schweinemast sollen keine Antibiotika mehr verwandt werden“, sagt auch die dänische Abgeordnete Kirsten Jensen für die sozialdemokratische EP- Fraktion. „Warum nun in Mascarpone?“ Doch Breyers Antrag scheiterte gestern im Europäischen Parlament. Zwar bekam ihr Antrag für den Ausschluß von Nisin eine Mehrheit von 303 zu 212 Stimmen, doch eine absolute Mehrheit (314 Stimmen) wäre erforderlich gewesen. Eine hohe Hürde, weil oft Abgeordnete fehlen – auch gestern waren knapp hundert nicht da. Am Ende setzte sich so die konservative Fraktion durch und damit die EU-Kommission. Ein paar britische Labour- Abgeordnete stimmten ebenfalls gegen den Ausschluß von Nisin. Denn in Großbritannien wird die Substanz bereits in einem regional verbreiteten englischen Pudding eingesetzt.

Bislang durfte Nisin nur in ungenießbare Käserinde. Doch die Logik der Richtlinie besagt, daß alles, was irgendwo schon mal reingemischt wurde, europaweit ins Essen darf. Dabei mahnt die Weltgesundheitsorganisation, Antibiotika nicht weiter bedenkenlos einzusetzen, da sich Resistenzen von Krankheitskeimen gegen die Medikamente häufen.

Doch kaum klopfte die italienische Industrie an, nahm die Kommission Nisin in die Novelle auf, obwohl es keine technische Notwendigkeit dafür gibt. „Der Hersteller sagt, wir brauchen's – und damit basta“, schimpft Hiltrud Breyer.

Der EU-Rat der Fachminister der Mitgliedsstaaten folgte der Kommission bereits – allein Dänemark ist gegen jeden Einsatz von Antibiotika. Damit landet Nisin bald in unserem Essen. Die Entscheidung ist ein Präzedenzfall, weitere Produkte werden folgen: Belgien verlangte bereits in der Ratsdiskussion, Nisin auch für die Konservierung von Frischei freizugeben.

Bei der Abstimmung zu Nisin hatten auch grüne Abgeordnete gefehlt, was Hiltrud Breyer sichtlich ärgerte. „Wären alle dagewesen, hätten wir das durchbekommen.“ Breyer vermißte auch die Lobbyarbeit der Verbraucherverbände: „In Deutschland machen die eine große Kampagne gegen Zusatzstoffe, doch wenn's hier in Brüssel darauf ankommt, melden die sich nicht zu Wort.“ Präsent war nur die Industrie. Eine Schlappe erlitt Breyer auch bei den Alginaten. Der Bundesrat etwa hat deren Einsatz bereits abgelehnt. Sie werden vor allem in Light-Produkten verwandt, wo sie „Wasser schnittfest machen“, wie Breyer sagt.

Durch Alginate nehmen Lebensmittel mehr Wasser auf, lassen ein Produkt also nach mehr aussehen. Und Propylenglyco-Alginat ist ein echter Schaumschläger: Es macht die Schaumkrone auf Apfelweinen und in Bier haltbarer. Bisher konnten den Alginaten keine schädlichen Wirkungen bei Menschen nachgewiesen werden, aber bei Katzen verändern sie das Blutbild. Doch im Parlament kam gestern für keine der zehn Änderungsempfehlungen an der Novelle, die Breyer mit dem Umweltausschuß abgestimmt hatte, eine absolute Mehrheit zustande. Das gilt auch für den Passus, der erlauben soll, daß Pfirsiche und Ananas eingewachst werden dürfen. Das ist zwar gesundheitlich unbedenklich, macht es aber schwerer, faule Pfirsiche zu erkennen. Haltbarer werden sie dadurch nicht, was man allerdings erst auf dem Küchentisch sieht.

Oft gibt es nur die Illusion von Frische zu kaufen. Erwartet man die kleinen chemischen Trickser in Fertigsuppen und Tiefkühlpizzen, so rechnet doch niemand mit ihnen in frischem Brot. Doch auch Bäcker verwenden Zusatzstoffe, weil sie fertige Backmischungen kaufen. Fünfzig Zusatzstoffe sind erlaubt. Breyer hatte in ihren Bericht daher eine Kennzeichnungspflicht auch für lose Waren einfügen wollen, war damit aber bereits im vorbereitenden Umweltausschuß gescheitert.