Jenseits der 30

■ Die Kanadierin Holly Cole singt anderer Leute Songs – mit enormer Authentizität

Wer in der aktuellen Auflage des verdienten Trouser Press Guide to –90s Rock unter C wie Cole, Holly nachschlägt, findet nur den knappen Hinweis: „See Tom Waits.“ Auf ihrem Album Temptation aus dem Jahr 1995, das ausschließlich mit Waits-Songs bestückt war, hatte die kanadische Songstilistin vor allem die klassizistischen und jazzigen Seiten des Maestros ins fahle Licht ihrer verrauchten Altstimme getaucht.

Doch spätestens nach ihrem letzten Album ist wohl ein eigener Eintrag für die Sängerin aus Toronto fällig. Auf Dark, Dear Heart, bereits im letzten Jahr veröffentlicht, servierte Holly Cole den coolsten Adult-Pop, den man für runde 30 Märker käuflich erwerben kann, um die kleinen Leidenschaften jenseits der 30 wahlweise zu befeuern oder zu besänftigen.

Der Verweis auf den bekannteren Autor ist indes bezeichnend. Denn noch immer steht die Kunst der Interpretation im langen Schatten einer Authentizität aus der Bauchlade, die glauben machen möchte, nur der könne etwas zu sagen haben, der dies vorher auch selbst zu Papier gebracht habe. Cole entlarvt den hartnäckigen Mythos mit stupender Selbstsicherheit und großer Intuition, die selbst die idiosynkratischen Vorlagen ihrer geschätzten Landsfrau Mary Margaret O'Hara nicht zu erschüttern vermögen. Und wer Joni Mitchell („River“) zu covern wagt (und nicht nur geschickt sampelt...) und dabei nicht scheitert, muß ohnehin nicht mehr viel fürchten. Doch auch leichtere, aber kaum verderbliche Pop-Ware führt Holly Cole wohldosiert im Angebot, etwa Lennon/McCartney's „I've Just Seen A Face“.

Was? Das kennt doch jeder? Es soll sogar (jüngere) Leute gegeben haben, die Cole fragten, „ob ich den Song geschrieben hätte“. Woraufhin ihr nur einfiel: „Schön wär's!“ Und wir sagen: Egal ist's!

Jörg Feyer

heute, 21 Uhr, Fabrik