„Eigentlich wollte ich kein Asyl beantragen“

Ein Flüchtling und seine Familie sollten vergangene Woche mit 74 Bosniern abgeschoben werden. Doch das Flugzeug war voll. Seine traumatisierte Mutter aber mußte nach Sarajevo. Jetzt will der Sohn sie zurückholen  ■ Von Julia Naumann

Ismail Husić* hat noch einmal Glück gehabt. Deswegen konnte er gestern bei der Kundgebung bosnischer Flüchtlinge gegen Abschiebung vor dem Polizeigewahrsam am Tempelhofer Damm dabeisein.

Beinahe hätten Isamil, seine Frau Jasmina* und seine drei Kinder auch in einer Maschine der Air Bosnia nach Sarajevo gesessen. „Donnerstag nacht um vier Uhr klopfte es an unserer Tür“, erzählt Ismail, der mit seiner Familie in einem Wohnheim am Tempelhofer Weg wohnt. Polizisten in Uniform und in Zivil hätten die Familie in „sehr barschem Ton“ aufgefordert, 20 Kilogramm Gepäck pro Person einzupacken. „Wir mußten uns sehr beeilen“, erinnert sich der Vater. Seine neunjährige Tochter Jasna* habe geweint, weil sie in der Hast ihr erstes Schulzeugnis, daß sie einen Tag vorher bekommen hatte, nicht finden konnte. Sohn Amir* jammerte, daß er sich nicht von seinen Freunden verabschieden konnte. „Es war eine wirklich angsterfüllte Situation“, sagt Husić in flüssigem Deutsch.

Der ehemalige Kellner hat vorher nie mit seinen Kindern über eine mögliche Abschiebung geredet. „Ich habe nicht gedacht, daß uns das passieren kann.“ Kein Wunder, denn die Familie hatte eigentlich eine Duldung bis zum 21. August. Einen Tag vor der Abschiebung bekam die Familie Post von der Ausländerbehörde: Die Duldung sei aufgehoben, hieß es. Die Gründe, die einer Abschiebung entgegenständen, seien mittlerweile entfallen, so die lapidare Begründung. In dem Brief stand weiter, daß Husić innerhalb einer Woche gegen den Bescheid Widerspruch einlegen könne. Doch dafür war keine Zeit mehr: Bereits am nächsten Morgen kam die Polizei. Für Rechtsanwältin Elisabeth Reese ist die kurze Frist rechtswidrig: „Die Familie hätte vier Wochen vorher von der Aufhebung der Duldung erfahren müssen.“ Reese weiß von weiteren Familien, denen es ähnlich gegangen sei.

Familie Husić wurde mit ihrem Gepäck in den Abschiebegewahrsam am Tempelhofer Damm gebracht. „Dort warteten wir in einer kleine Zelle bis zum Abend“, erzählt Ismail Husić. Es habe weder etwas zu trinken noch etwas zu essen gegeben. Als er einen Beamten um etwas Saft für die Kinder bat, habe dieser gesagt, daß die Kinder doch das Wasser aus der Kloschüssel trinken könnten.

Letztendlich hatte die Familie Glück im Unglück: Es stellte sich heraus, daß die erste der beiden Maschinen nach Sarajevo voll war. „Da war für uns kein Platz mehr“, sagt Husić. Sie wurden in eine andere Zelle verlegt, wo 17 weitere Personen auf die Abschiebung warteten. Am Abend bekam Husić dann endlich die Erlaubnis, mit seinem Anwalt zu sprechen. „Er sagte mir, daß ein Asylantrag die einzige Möglichkeit sei, nicht abgeschoben zu werden.“ Doch: „Eigentlich wollte ich kein Asyl beantragen“, sagt Husić. Er wolle so schnell wie möglich zurück in seinen Heimatort Bijeljina in der Republik Srpska. Von dort war die Familie im April 1992 nach Berlin geflüchtet. Doch sein Haus sei mittlerweile von zwei serbischen Familien besetzt, erzählt er. Husić hat bereits mehrmals mit ihnen telefoniert: „Sie sagten, wenn wir dorthin wiederkämen, würden sie uns umbringen.“ Aus diesen beiden Gründen hat er entschieden, für sich und seine Familie Asyl zu beantragen. Nach 40 Stunden wurden Ismail Husić und seine Familie aus dem Abschiebegewahrsam entlassen.

Seine Eltern jedoch wurden am vergangenen Freitag mit der zweiten Air-Bosnia-Maschine abgeschoben. Obwohl seine Mutter schwer krank und vom Krieg traumatisiert sei, wie Ismail Husić sagt. Und obwohl ein Richter des Verwaltungsgerichts noch kurz vor dem Abflug Bedenken gegen diese Abschiebung geäußert hatte. Die Ausländerbehörde wollte daraufhin die Abschiebung aussetzen. Das Amt schickte ein Fax zum Bundesgrenzschutz am Flughafen Schönefeld. Doch die Weisung kam zu spät. Das Flugzeug war bereits in der Luft. Rechtsanwältin Reese versucht jetzt, die Mutter zurückzuholen.

Der Sohn hat mittlerweile mit seinen Eltern telefoniert. Sie sind für einige Tage bei Freunden untergekommen, weil das Flüchtlingslager der bosnischen Hauptstadt völlig überfüllt sei. „Sie wissen nicht wohin“, sagt er ratlos.

Auch für Familie Husić geht die Odyssee weiter: Sie müssen sich in den nächsten Tagen in Chemitz in einem Flüchtlingsheim melden – das sieht der Verteilungsschlüssel für Asylsuchende vor. Für die Familie sei dies im Moment dennoch die beste Lösung, sagt Ismail Husić. Denn: „Es ist immer noch sicherer, hier in Deutschland als irgendwo in Sarajevo zu landen und nicht nach Hause zu können“, sagt er. Dort würden sie auch nur Flüchtlinge sein.

*Namen von der Reaktion geändert