Berti – muß er wirklich weg?

Vor der heutigen Inquisition in der DFB-Zentrale sind selbst die treuesten Weggefährten des DFB-Trainers Vogts auf Distanz gegangen – warum mag ihn keiner mehr?  ■ Von Peter Unfried

Warum haben die Leute plötzlich dermaßen die Schnauze voll von dem, den alle nur Berti nennen? Nicht alle Leute – aber viele? Berti Vogts (51) ist doch nach wie vor, was er immer war: ein grundsätzlich das Gute wollender Mann, der den Fußball liebt. Sagen wir: lebt. Wenn er sich aber heute „an einem geheimen Ort zur geheimen Uhrzeit“ (DFB-Pressedirektor Niersbach) mit seinen Arbeitgebern zum „DFB-Gipfel“ trifft, hat das einen Hauch von einem Prozeß, in dem er den Hauptangeklagten zu geben hat.

Die meisten haben ihr Urteil längst gesprochen. In der Umfrage seines Hauptgegners Bild sprachen sich 75,7 Prozent gegen ihn aus, in anderen Boulevardblättern zwischen 74 und 85 Prozent – nur unmittelbar nach dem Ausscheiden durchgeführte Umfragen kamen noch auf Mehrheiten für Vogts. Selbst unter den taz-Mitarbeitern sagen inzwischen 44 Prozent: Berti muß weg (siehe Graphik). Vogts hat Allianzen mit mächtigen Medien unüblicher-, aber erfreulicherweise immer verweigert, hat jeglichen Nepotismus mit den DFB-Finanziers vom Fernsehen vermieden und steht jetzt konsequenterweise nackt da, da ihn auch noch die treuesten Nächsten verlassen haben, offiziell, wie die FR gestern in einem staatstragenden Kommentar „Distanz zu Berti“ verkündet, oder perfide wie die FAZ, die vorgeschlagen hat, den „als Chef überforderten“ Vogts bei gesicherten Bezügen zum „verantwortlichen DFB-Jugendtrainer“ abzuservieren. Vordergründig betont wird stets die Art und Weise, wie „der schlechteste Verlierer der WM“ (FAZ) sich mit abenteuerlichen Verschwörungstheorien in Lyon verabschiedet hat und damit den angeblichen sportlichen Schaden für Verband und Land noch potenziert. Daß er sich am Mittwoch doch noch bei Fifa-Präsident Blatter entschuldigte, kommt „eigentlich schon zu spät“ (FAZ).

Je länger der Tag von Lyon zurückliegt, desto größer scheint die Abneigung geworden zu sein. Das läßt darauf schließen, daß sich die negativen Gefühle nicht unbedingt aus dem sportlichen Ergebnis, dem 0:3 gegen Kroatien und damit verbundenen WM-Aus, resultieren.

Statistisch gesehen bleibt Vogts ein Erfolgstrainer: In 100 Länderspielen hat er 66mal gewonnen, 22mal unentschieden gespielt und gerade zwölfmal verloren, darunter das EM-Finale 1992 und zwei WM-Viertelfinale in Serie. Tatsache ist auch, daß ihn im Prinzip alle bestätigt haben in seiner Annahme, es gäbe in Deutschland keine besseren Profis, als die, die er mitnahm – vielleicht abgesehen von Stefan Effenberg, der nicht richtig zur Debatte stand, und Mehmet Scholl, der allenfalls eine Ergänzung gewesen wäre. Tatsache ist, daß im deutschen Fußball Bernd Schuster der letzte war, der widerlegte, daß die Deutschen a priori „Kühlschränke“ (Vogts) zu sein haben und niemals „Brasilianer“ sein können.

Das WM-Viertelfinale muß man deshalb rein ergebnisorientiert als Erfolg verbuchen. Dennoch will man ihn loswerden und das längst nicht mehr nur bei Bild, die sich diesen Auftrag quasi ins Impressum geschrieben hat.

Tatsächlich hat sich Vogts im Laufe der WM als das präsentiert, was er möglicherweise auf der einen Seite seines Charakterspektrums sein könnte: ein engstirniger Kleinbürger, der sich in dem Beharren auf unsinnige, folgenlose Präferenzen („Mir wäre lieber, wir hätten gegen Jugoslawien verloren, und der Polizeibeamte wäre noch gesund“) bloß selbst entlarvte. Der nicht in der Lage war, die Möglichkeit eines deutschen WM-Rückzugs auch nur theoretisch zu erörtern und sei es nur, um durch die Präsentation eines sensibilisierten Verbandes positive Imagewerte gewinnen können. Vogts, dieser angebliche Weltbürger, der im Herbst nach New York reist, lehnte ein Leben außerhalb seines Sports rigoros ab („Können wir jetzt endlich über Fußball reden?“) und offenbarte darüber hinaus ein Stammtischverständnis vom Rechtsstaat („Es wird auch hier wieder ein deutscher Rechtsverdreher Chaoten vertreten“). Dem Mann fehlte ganz offenbar ein versierter Medienberater. So taumelte Vogts dann auch offenbar völlig unvorbereitet in die Niederlage von Lyon. Statt ein paar essentielle Sätze aufzusagen („Glückwunsch an Kroatien etc.“) und unfähig zum Schweigen kamen die schlechtesten Züge seines Charakters ans Licht: das permanente Beharren, eine Niederlage von Vogts könne nur ein weiteres Unrecht sein.

Gäbe es allgemeinen Konsens darüber, daß der verantwortliche Verbandstrainer der deutschen Fußballer („Bundestrainer“) die Pflicht habe, den Verband, das Land und alle Deutschen in der Welt tadellos, sensibel, politisch korrekt, klug und medial geschult zu vertreten – der Fall Vogts wäre umgehend erledigt.

Das wäre neu. Selbst Franz Beckenbauers rassistisches Herrengehabe von 1986 gegenüber dem mexikanischen Journalisten Miguel Hirsch („Dieser kleine Mexikaner, den sieht man gar nicht, weil er so klein ist“) führte nicht zu seiner schmachvollen Demission. Beckenbauer schickte einen lapidaren Entschuldigungsbrief, indem er sich durch Eingeständnis grundsätzlicher Dummheit („Da kann man einmal sehen, was ich für einen Blödsinn daherrede“.) für eine Weiterbeschäftigung qualifizierte.

Es liegt also nahe zu vermuten, hinter den aufgehäuften Gründen verberge sich ein grundsätzlicher Wunsch, Vogts loszuwerden.

Die Erkenntnis, die die Öffentlichkeit und offenbar auch die vorher schwankenden Medienarbeiter aus Lyon gewonnen haben, ist: Berti wird immer Berti bleiben. Damit steht er im neunten Amtsjahr für Kontinuität. Die Stimmung ist aber offenbar nicht für Kontiuität bloß um der Kontinuität willen. Im Moment heißt es: Ob es besser wird oder nicht – Hauptsache ein anderer.

Was sind die vielen Pro-Berti- Aussagen der Branche wert? Vermutlich wenig. Komplizierte Sätze wie jenen von Matthias Sammer („Wenn Berti weitermachen will, ist er der Richtige“) muß man erst noch auf ihre endgültige Semantik untersuchen. Und das Insistieren des DFB-Präsdienten auch nicht mit jedem gegebenem interview („Es gibt keinen Besseren“) glaubwürdiger. Braun will offenbar weitermachen, aber Berater („Wieso nicht Günter Netzer?“) installieren, um künftig von Vogts unabhängiger zu werden. Heute will er von Vogts „ein Dossier, welche Wege er gehen will“.

Helmut Kohl weiß einen Ausweg. Der Kanzler will, wie Stoiber, Fußballnachwuchs-Gymnasien, klugerweise auch für Hauptschüler. Im übrigen, sagt er: „Ich finde gut, daß Berti Vogts weitermacht.“ Doch die Sehnsucht nach einem Neuanfang ist auch im Fußballand da – und sei es auch hier nur ein scheinbarer. Das kaum ausgesprochene, aber immer mitschwingende Hauptargument gegen Vogts ist: Man traut ihm den Aufschwung einfach nicht mehr zu.