Berufsbezeichnung „Rapper“

Von den Prügelknaben des HipHop zu schwäbischen Millionären mit Allround-Akzeptanz: Vor zehn Jahren begann die wunderliche Karriere der Fantastischen 4  ■ Von Thomas Winkler

Zehn Jahre sind lang. 1988 trugen Männer lange Haare. Jedenfalls alle, die cool waren. Wer keine langen Haare hatte und kein Geld, sich welche anschweißen zu lassen, arbeitete dran. Dinosaur Jr., die Pixies, fIREHOSE und selbst Nick Cave brachten 1988 große Platten heraus. William Burroughs, Jerry Garcia und Jeffrey Lee Pierce waren noch am Leben.

Zehn Jahre sind gar nicht so lang. 1988 fand die erste Love Parade statt und die erste PopKomm. Gullit, van Basten und Rijkaard wurden Europameister, und HipHop war ... ja was?

Deutscher HipHop landete 1988 fast unbeachtet in Stuttgart- Heslach, im Jugendclub in der Böblingerstraße 92. Auf der Bühne vier junge Menschen, die sich The Terminal Team nannten und auf englisch und deutsch rappten. Irgend jemand im Publikum schrie „Tomate“. Niemand weiß wieso. Dem Rest gefiel's. „Wir stellten fest“, erinnert sich heute einer der vier, „daß die wenigen deutschen Sachen weit besser ankamen als die englischen.“ Der erste gemeinsame Auftritt der Band, die sich ein Jahr später in Die Fantastischen 4 umbenennen wird.

HipHop 1988 jenseits von Heslach, das war: Run DMC, die die Leichen von Aerosmith ausgruben. Die Beastie Boys spritzten noch mit Budweiser rum. Public Enemy. Und Goldketten, riesige Goldketten. Turnschuhe hießen plötzlich Sneakers und hatten keine Schnürsenkel mehr. Das war komisch. Ein paar wenige kannten EPMD oder Boogie Down Productions.

Zehn Jahre später macht Thomas D. Schlagzeilen in der bundesdeutschen Boulevardpresse als der Mann, der Heiner Lauterbach die Freundin ausspannt. Zur Einordnung des Liebhabers wird ganz selbstverständlich die Berufsbezeichnung „Rapper“ benutzt. Und während die Fantastischen 4 im Studio sind, um ihre neue Platte vorzubereiten, schreibt Ralf Niemczyk an ihrer Biographie. Arbeitstitel: „Die Fantastischen 4 – Die letzte Besatzermusik“.

Tatsächlich ist HipHop das letzte popmusikalische Erbe, das uns die Amerikaner hinterlassen haben. DeutschHop, aber auch die sogenannte Hamburger Schule – beides ist nicht denkbar ohne amerikanische beziehungsweise britische Vorarbeiten, aber beides signalisiert einen entspannteren Umgang mit den gelieferten Blaupausen. Rückblickend scheint es fast, als hätte die Republik auf Thomas D., Smudo, AndY und DJ Hausmarke gewartet. Längst sind die vier Stuttgarter Millionäre, die in Interviews schon mal den Immobilienerwerb diskutieren. Die eigene Plattenfirma Four Music residiert derweil im obersten Stock des „Medienhauses“ in, schon wieder, Stuttgart-Heslach. Kaum zu fassen, daß die Fantastischen 4 mal keiner leiden konnte. Man sah sie als Totengräber des Genres, bashte sie als Unpersonen und Prügelknaben. Die Nachfolger im DeutschHop definierten sich als Gegenentwurf zu den Fantastischen 4 – und mußten zuletzt doch ihren Respekt bekunden.

Als Thomas D. und Smudo Rap kennenlernten, war der noch streng überwachtes Geheimwissen, das mühselig in den G.I.-Diskotheken der US-amerikanischen Besatzungszone erworben und dann während eines dreimonatigen USA-Urlaubs vertieft werden mußte. Die wenigen, die sich damals hierzulande mit Rap beschäftigten, übersetzten die US-Vorbilder eins zu eins. „Auf den paar Jams, die es gab“, erinnert sich Smudo, „wurden eh nur Amerikanismen kopiert.“ So begann in jenem Jugendclub nicht nur das „eigene Ding“, sondern gelang auch „eine Pioniertat“. So formuliert es Smudo, wenn auch widerstrebend, nur um sofort einzuschränken: „Jahre später, Wochen später hätte es bestimmt jemand anderes gemacht.“

Mittlerweile ist „die deutschsprachige HipHop-Musik“, wie sie Smudo mit penetranter Selbstverständlichkeit nennt, so etabliert, daß sich auch hierzulande herausbilden konnte, was Spex erst unlängst als „Focus-Rap“ anprangerte: Nurmehr von den Marktmechanismen bestimmter Mainstream-HipHop, der nicht mehr auf die im HipHop eigentlich unverzichtbare eigene Geschichte verweisen kann, dafür aber kräftig abräumt. Den Prototyp für Acts wie Basis oder Der Wolf lieferten die Fantas allerdings höchstselbst. „Die da“ benutzte 1992 musikalisch das Muster aus US-Ghettos, aber füllte es textlich mit dem Erfahrungshintergrund einer Jugend in schwäbischen Vororten: verknallt sein, Party, anbaggern. Das war dreist, aber guter Pop ist immer dreist.

Gerade machten Smudo, Hausmarke und AndY noch Zivildienst, und plötzlich „bin ich auf einmal Popstar geworden“ (Hausmarke alias Michi Beck). „Die da“ verkaufte 350.000 Einheiten und kletterte bis auf Nummer zwei der deutschen Charts. Was begann, war „wie ein Rausch, eine Achterbahnfahrt“ (Smudo). Und plötzlich konnte die Friseuse von nebenan HipHop buchstabieren und wußte, wo die Bronx liegt. „Wir wollten damit ja nur in die Charts kommen“, ist Smudo noch heute überrascht, „daß wir damit auf Nummer zwei kommen, hätte kein Aas gedacht.“

HipHop – das war die ebenso schlichte wie sensationelle Erkenntnis aus dem Erfolg von „Die da“ – funktioniert auch ohne den Ghetto-Background, ohne Drive- by-Shooting, selbst ohne Goldketten. Plötzlich ging es nicht mehr ums Nachbeten der Vorbilder, sondern ums Aneignen. „Niemand kann sagen, wer zuerst deutsche HipHop-Musik gemacht hat, die sich nicht nur als Pop-Experiment verstanden hat wie bei Nina Hagen oder Falco“, sucht Smudo nach der historischen Leistung seiner Band, „wir waren die ersten, die das konsequent gemacht haben, deutschsprachig, auch mit deutschen Scratches, und sich dabei auch nicht vor einer Zusammenarbeit mit der Plattenindustrie scheuten.“ Aber eben: „Die damalige HipHop-Szene“, so Smudo, „hatte ein Problem, weil sie ihrer Identifikationsmöglichkeiten beraubt war.“

Die Prügel kam von allen Seiten. Von den Gangsta- Laiendarstellern aus Rödelheim ebenso wie von den politisch Korrekten aus Heidelberg. Das Rödelheim Hartreim Projekt widmete ihnen diverse Reime unter der Gürtellinie: „Sie nennen sich fantastisch, ich wunder mich / Was sich die Jungs dabei denken, sie sind spastisch.“ Und HipHop, die Musik der unterdrückten Minderheiten, zu Partyzwecken freigegeben zu haben, wurde ihnen von den Heidelberger Gralshütern vorgehalten. Schließlich war es auch das Jahr von Rostock-Lichtenhagen, und der deutsche Song des Jahres neben „Die da“ zweifellos „Fremd im eigenen Land“ von Advanced Chemistry. Deren Rapper Torch rief irgendwann mal bei seinem Freund Smudo an, um sich von der Thanks-Liste einer Fanta-Platte streichen zu lassen. Zwar war der damals sogenannte „Krieg der Reime“, in der Rückschau betrachtet, kaum mehr als eine Promotionskampagne, aber eben eine, die funktionierte. So perfekt, daß Oberrödelheimer Moses P. von Alfred Biolek eingeladen wurde, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen doch mal zu erklären, wie sich das mit dem Dissen – dem Beschimpfen anderer Rapper – denn so verhält.

Solche Rituale werden heute nurmehr von den Ewiggestrigen hochgehalten. DeutschHop im Jahre 1998 ist eine große, liebevolle Familie mit einigen wenigen schwarzen Schafen (wie den Rödelheimern), mit denen man nichts mehr zu tun haben will oder die man mit einem väterlichen Klaps schon wieder auf die rechte Bahn bekommt: „Von meiner Perspektive sage ich natürlich, Basis, Der Wolf, das ist kein HipHop, die sind uncool“, so Smudo, „aber die fühlen sich doch als HipHopper. Jemanden wie den Wolf schmerzt es sehr, daß andere das nicht so sehen.“

„Die da“ war der Kristallisationspunkt dieser Entwicklung, nicht nur die Eintrittskarte ins Big Business für Fanta 4 und für deutschsprachigen HipHop überhaupt, nicht nur „der Schlüssel, um ins Radio zu kommen und erst mal eine Plattform für deutschsprachige HipHop-Musik zu bekommen“ (Hausmarke), es war auch ein Schritt auf dem Weg hin zum „nationalen Produkt“: Deutsche kaufen deutschen Rap, eine Abgrenzung, die in Großbritannien mit „Buy British“-CD-Aufklebern abstrus zu nennende Formen annahm.

Das Erwachen kam nach einem ersten und einzigen Auftritt in der „ZDF-Hitparade“, bei dem Kollege Bernd Clüver ihnen „Tolle Nummer!“ zuraunte. Im folgenden wollte man nicht unbedingt weg vom Mainstream, aber doch beweisen, „daß wir eine künstlerische Band sind“. Fanta 4 gaben sich alle Mühe, sperrig zu werden, und durchbrachen konsequent und bewußt „das Erfolgsrezeptchen der lustigen, poppigen Songs“ (Smudo). Gezielt suchte man Kollaborationen mit den Stieber Twins, Fischmob, MC René, Such A Surge oder den Massiven Tönen. Smudo rappt für die Jazzkantine, und unter dem Namen Megavier ließen sie ihre Raps von Megalomaniax mit Metal unterlegen und lieferten so die deutsche Ausgabe von Body Count ab. Auf dem eigenen Label, Four Music, werden nicht nur die eigenen Werke und Soloplatten veröffentlicht, sondern auch Kollegen wie die Rapper von Freundeskreis.

Die Fantastischen 4 sind die Protagonisten einer Erfolgsstory, die wundersamerweise keinen schlechten Geschmack hinterläßt. Die Besatzer sind weg, Rappen auf deutsch Selbstverständlichkeit, aber DeutschHop ist trotzdem kein Provinzphänomen geblieben. Im Gegenteil: Was am 10.6.88 in Stuttgart-Heslach begann, ist bleischweres Startum geworden – auch international. Mit Anfang 30 trägt man bei den Fantas schon mal Hugo Boss, hat für Bootsy Collins gerappt und Mandoline gespielt, mit U2s Bono an der Bar Bee- Gees-Gassenhauer gegrölt. Auf seinem „Solo“ versammelt Thomas D. einen hübschen kleinen Querschnitt durchs Musikschaffen der Republik von Nina Hagen über die Lemonbabies bis zu den Ärzten. Und auf „Weltweit“ des Kollegen Hausmarke findet sich internationale Prominenz wie Melle Mel, Scorpio und Wyclef Jean.

Das hochoffizielle Zehnjährige wird nächstes Jahr gefeiert, weil am 7.7.89 der erste Auftritt unter dem Namen Die Fantastischen Vier stattfand. Vorher gibt es die neue Platte, dann wird die Medienmaschinerie angeworfen. Es wird ein großer Auftritt werden. Zehn Jahre müssen gar keine so lange Zeit sein, aber sie werden ausführlich gefeiert werden. Zumindest hierzulande.