Konzernchef von Pierer trimmt Siemens auf Gewinn

■ Künftig soll nicht das langfristige Interesse die Politik des Unternehmens bestimmen, sondern die Renditeaussichten. Dabei stehen auch Stellen zur Disposition. Der Betriebsrat ist brüskiert

Berlin (taz) – Diesmal hatte die Sektion „Siemens-Boykott“ der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs mit dem Termin danebengegriffen. Das mobile Atomkraftwerk, das eine Gruppe von Aktivisten just vor der Erlanger Siemens-Hauptverwaltung in einer Erdspalte verschwinden ließ, interessierte die Beschäftigten der Siemens-Tochter Kraftwerksunion (KWU) am Donnerstag nachmittag nur noch am Rande. Sie hatten nach der morgendlichen Sommerpressekonferenz, die Konzernchef Heinrich von Pierer in Den Haag abgehalten hatte, ganz andere Probleme als die Frage, wieweit Siemens in Atomprojekte wie den Bau eines türkischen AKWs in direkter Nähe zu einer seismisch hochaktiven Bruchlinie in der Erdkruste verwickelt ist (taz vom 2.7.). Sogar für den Gesamtbetriebsratschef und stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden Alfons Graf in der Diktion überraschend, hatte von Pierer einen „klaren Kurswechsel“ des Unternehmens angekündigt.

Anlaß war die Erkenntnis, daß Siemens das angestrebte Gewinnziel von drei Milliarden Mark, 400 Millionen Mark mehr als im Vorjahr, im laufenden Geschäftsjahr 1997/98 nicht erreichen wird. Auch die Auftragseingänge im Inland gingen um fünf Prozent auf 25,8 Milliarden Mark zurück. Parallel dazu stiegen sie im Ausland um elf Prozent auf 61,8 Miliarden Mark, und der Gesamtumsatz kletterte in den ersten neun Monaten um fünfzehn Prozent auf 81,9 Milliarden Mark.

Vier Konzernteile gelten als Problem. Neben dem Halbleiterbereich, der vor allem durch die – mit Weltbankkrediten ermöglichten – Dumpingpreise der koreanischen Konkurrenz ganz tief in den roten Zahlen steckt, dümpeln auch die Energieerzeugung, die Privaten Kommunikationssysteme und die Verkehrstechnik vor sich hin. Der ebenfalls durch die Asienkrise bedingte Preisverfall bei den Chips drückte das Ergebnis weiter.

„Arbeitsgebiete, die ihre Kosten nicht verdienen“, gehörten auf den Prüfstand, sagte von Pierer. Dabei sei nichts sakrosankt – auch nicht die Arbeitsplätze. Der Gesamtbetriebsrat, der das Management jahrzehntelang mit einer von der IG Metall stets sehr skeptisch beäugten Sozialpartnerschaft begleitet und bereits eine ganze Reihe gekürzter Sozialleistungen mitgetragen hat, nimmt das als Kampfansage. „Ich sehe überhaupt nicht ein, warum die Beschäftigten nun für Faktoren büßen müssen, die sie nicht zu verantworten haben“, sagte Graf. Nach seiner Einschätzung habe das Management die Krise in Asien unterschätzt.

Die Finanzmärkte honorierten dagegen die Umstrukturierungspläne. Die Aktie legte am Donnerstag um zehn Prozent zu. Beate Willms