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Der tanzende Tod aus Hongkong

Mit nur vier Spielfilmen wurde Bruce Lee zum Begründer und Inbegriff des Kung-Fu-Films. Amerikanische und europäische Jugendliche eiferten ihm emsig nach, bestrebt, so zu werden wie er – klein, aber allzeit wehrhaft. Vor 25 Jahren kam der James Dean des Fernen Ostens unter respektabel mysteriösen Umständen ums Leben. Eine Würdigung  ■ Von Reinhard Krause

Herausfordernd, ja verächtlich und mit schiefem Mund mustert der Asiate die Meute der ihn umgebenden Herausforderer. Wie Katzen umschleichen sie ihn. Dann greifen sie an, immer zwei zugleich. Doch der Umzingelte wehrt sich mit frappierend schnellen Gegenstößen. Mehr noch: Er tanzt. Jeder Tritt ist ein gewaltiger Halbkreis, jeder Sprung ein Treffer. Angesichts seiner Schlagkraft zücken die Angreifer ihre Messer. Ein fataler Fehler. Denn nun holt der Angegriffene sein grausamstes Werkzeug hervor, zwei Holzstöcke, durch eine Kette miteinander verbunden. Mit scharfem Surren wirbeln die Stöcke durch die Luft und prasseln nur scheinbar zufällig auf die Köpfe nieder. Allgemeines Stöhnen, Sterben und Bluten setzt ein. Bruce Lee, der amerikanische Hongkongchinese, hat wieder einmal gesiegt!

Mit nur vier Spielfilmen wurde Bruce Lee zum Begründer und Inbegriff des Kung-Fu-Films. Neben ihm wirkt David Carradine in der Fernsehserie „Kung Fu“ wie ein Abklatsch für das Kinderprogramm – dabei stammt die Idee für die Serie ebenfalls von Bruce Lee. Für Amerikas Produzenten jedoch war Bruce Lee in den frühen Siebzigern noch zu asiatisch, um einen Serienhelden abzugeben. Das Krawallfilmpublikum jedenfalls begriff Bruce Lee schnell als Bereicherung auf der Speisekarte, spätestens jedoch nach seinem frühen Tod vor 25 Jahren.

Was das begeisterte Kinopublikum der siebziger Jahre meist nicht wußte: Schon als Kind stand der später so giftig blickende Mime als Kinderstar vor der Filmkamera. Nicht in Hollywood und nicht als Bruce Lee, sondern in Hongkong und unter dem Pseudonym Li Hsiao-lung. Seinen ersten Film drehte er 1944. Da war er nicht einmal vier Jahre alt, Shirley Temple hatte gerade erst ihre Goldlocken abgeschnitten und Elizabeth Taylor zum ersten Mal ihr Filmpferd gestriegelt.

Geboren wurde Bruce Lee als Li Chen- fan 1940 in San Francisco als Sohn einer Deutschchinesin und eines durch Amerika tourenden Sängers der Cantonese Opera Company von Hongkong. 1941 zog die Familie zurück nach Hongkong, wo Lee bis 1958 über zwanzig Filme drehte, häufig in der Rolle des Straßenjungen, der sein Mundwerk, aber auch seine kleinen Fäuste zu gebrauchen versteht. Mit dreizehn beginnt sich der schmächtige Junge für fernöstlichen Kampfsport zu interessieren. Im rauhen Bandenalltag Hongkonger Jugendlicher mangelt es ihm nicht an Gelegenheiten zur Praxis. Doch auch weniger martialische Kenntnisse fließen in seine Kampftechnik ein: 1958 gewinnt der Brillenträger die Meisterschaften der Kronkolonie im Chachacha.

Im April 1959 kehrt Lee in die USA zurück, um die amerikanische Staatsbürgerschaft nicht zu verlieren. In Seattle studiert er Philosophie und gründet eine eigene Kampfsportschule. Geprägt durch seine Bandenerfahrung entwickelt er in dieser Zeit eine gestraffte, „realistische“ Variante des formelhaften Kung-Fu.

Statt Anfängern möglichst rasch beizubringen, wie sie Holzbretter und Dachziegel mit der bloßen Hand zertrümmern, legt Lee größten Wert auf individuelles Gespür für den Fluß des Kampfes. In Filmkreisen spricht sich die Effektivität seiner Lehrmethoden schnell herum. Bald unterrichtet und berät er Stars wie Steve McQueen, James Garner oder Roman Polanski. Auch Elke Sommer, heißt es, zählt zu seinen Schülerinnen.

Der Einstieg ins amerikanische Filmgeschäft gestaltet sich schwierig. Über den Status eines kampfstarken Nebendarstellers in populären TV-Serien (“The Green Hornet“, „Batman“, „Ironside“) kommt er lange nicht hinaus. Erst als Lee 1971/72 in Hongkong die Kung-Fu-Streifen „The Big Boss“ (“Die Todesfaust des Cheng Li“) und „Fists of Fury“ (“Todesgrüße aus Shanghai“) dreht, wird er international als Actionstar wahrgenommen.

Was Lee auszeichnet, ist sein leichtfüßiger Kampfstil, der ein tänzerisches Element in den Kampffilm einbringt. Niemand beherrscht die Drehungen, die verblüffenden Angriffe und Sprünge mit größerer Virtuosität. Dabei muß Lee erst lernen, sein Kampftempo zu drosseln – auf den Probeaufnahmen löst er sich fast in Luft auf: „Alles, was man sehen konnte“, sagt er später, „war, daß die Leute vor mir plötzlich umfielen. Selbst als ich langsamer agierte, zeigte die Kamera nur einen verschwommenen Schatten.“ Hinzu kam Lees Fähigkeit, mit plötzlichen Bewegungen die Luft zum Knallen zu bringen. Jeder Schlag und jeder Tritt vor den Schädel des Gegners ist ein Peitschenknall. Auch durch die katzengleichen Kampflaute entwickeln Bruce Lees Kampfszenen eine gewisse humoristische Unternote.

Eine weitere Neuheit war der Einsatz des Nunchaku. Mit den durch eine Kette verbundenen Holzstäben, die sich zur kunstvollen Drohung ebenso eignen wie zum präzisen Drauflosdreschen oder zum schlichten Würgen, dürfte so mancher Kinderzimmerstreit der siebziger und achtziger Jahre verschärft worden sein. Mit dem Ergebnis, daß einige Bruce-Lee- Streifen indiziert oder zensiert wurden, selbst in Hongkong.

Über aller Virtuosität der Körperbeherrschung drang dem staunenden Kinopublikum kaum ins Bewußtsein, daß „Fist of Fury“ nach den Schemata plumper Propagandafilme operierte: Im präkommunistischen Shanghai geraten die Anhänger einer japanischen und einer chinesischen Kampfsportschule in blutige Händel, wobei die Japaner in der Rolle der Provokateure die langmütigen Chinesen regelrecht zur Gegenwehr zwingen. Die platte Botschaft des Films: Besser ist es, tapfer zu sterben, als gedemütigt zu leben.

Schauspielerisches Handwerk wurde in den Hongkongfilmen allerdings nicht gefordert. Nicht nur Auge in Auge mit angriffslustigen Japanern, sondern auch in den wenigen hölzernen, romantischen Szenen aus „Fist of Fury“ agiert Bruce Lee mit verkniffener Miene. Nur im Kampf wirkt er souverän und regelrecht gelöst. Tatsächlich war Bruce Lee so etwas wie ein entfesselter James Dean. Während Dean das fehlende Verständnis seiner Umwelt absorbierte und seine aufgestaute Aggression autodestruktive Züge annahm, verkörperte Bruce Lee den Typus des vitalistischen Underdog, für den körperliche Überlegenheit die Schlagkraft von Argumenten zu ersetzen vermag.

Kein Wunder, daß sich Lees westliche Fangemeinde vor allem aus dem Heer der Unartikulierten rekrutierte, aus unverstandenen Schülern und sonstigen Zukurzgekommenen. Die martialische Tendenz von „Fist of Fury“ blieb allerdings auch Lee nicht verborgen. „Die Verherrlichung von Gewalt ist falsch“, sagte er. „Deshalb bestand ich darauf, daß die Person, die ich in diesem Film verkörpere, am Ende sterben muß. Der Mann hat viele Leute getötet und muß dafür bezahlen.“

Nicht nur in Hongkong, sondern in ganz Fernost setzt ein Bruce-Lee-Kult ein. In Rom entsteht sein dritter Kung-Fu-Streifen, „The Way of the Dragon“ (“Die Todeskralle schlägt wieder zu“) – der erste Film, in dem Lee selbst Regie führt und für den er das Drehbuch schreibt. Sein vierter Film schließlich, „Enter the Dragon“ (“Der Mann mit der Todeskralle“), ist eine amerikanisch-chinesische Koproduktion. Als er am 20. Juli 1973 auf dem Weg zu einem Hongkonger Krankenhaus an einem Emphysem des Hirns stirbt, hat er gerade die Dreharbeiten zu diesem Film abgeschlossen. Anläßlich der Trauerfeierlichkeiten kommt es in Hongkong zu Tumulten.

Zum ungläubigen Staunen über den plötzlichen Tod eines so offensichtlich vor Körperkraft strotzenden Mannes gesellten sich die dubiosen Todesumstände als Quelle wilder Gerüchte. Am Nachmittag hatte Lee ein Arbeitstreffen mit der Schauspielerin Betty Ting Pei, die in seinem nächsten Film die weibliche Hauptrolle spielen sollte. Als Bruce Lee über Kopfschmerzen klagt, gibt sie ihm eine Tablette gegen Migräne. Die spätere Sektion ergibt als Todesursache eine Unverträglichkeit auf eine der im Präparat enthaltenen Substanzen. (Hinter vorgehaltener Hand wurde gemunkelt, Lee sei, inspiriert durch seine Filme, einer Intrige der Hongkongmafia zum Opfer gefallen. Aber der Glaube konnte nie erhärtet werden.)

Die Kampfszenen für einen weiteren Film, „Game of Death“ (unglaublicher deutscher Titel: „Mein letzter Kampf“), waren bereits aufgenommen worden und dienten postum als Klammer für einen Spielfilm nach James-Bond-Zuschnitt. Sogar die Musik stammte von John Barry, dem Komponisten der 007-Filme.

Der Inhalt war ausgesprochen krude: Bereits nach einer halben Stunde wird Bruce Lee in der Rolle eines Actiondarstellers auf offenem Set von einem Killer der Hongkongmafia lebensgefährlich verletzt und offiziell für tot erklärt. Man nimmt eine Gesichtsoperation vor und klebt dem Genesenen, verkörpert durch einen Ersatzschauspieler, zusätzlich einen Bart an. Der Kampf gegen den Erzbösewicht Dr. Land geht weiter. Als die Tarnung auffliegt, wird der Bart unnötig, und – schwupp – Bruce Lee ficht höchstselbst die letzten Kämpfe aus. Wozu dann, fragt sich der düpierte Zuschauer, die Gesichtsoperation?

Gleichwohl zeigt der Showdown Bruce Lee auf dem Höhepunkt seiner Kampfkunst. Auf jeder der drei Etagen einer Pagode erwartet ihn ein neuer Gegner. Den Schlußpunkt markiert ein geradezu grotesker Fight mit Kareem Abdul Jabbar. Neben dem weit über zwei Meter großen Schwarzen wirkt Bruce Lee wie ein überkurbelter Spielzeugkämpfer. Natürlich endet auch dieser Kampf für Lees Gegner tödlich, selten jedoch strahlt eine Kampfszene soviel tänzerische Übereinkunft zwischen den Kontrahenten aus wie diese.

Hier erreicht Bruce Lee tatsächlich sein ästhetisches Ziel: „Ich handle so, daß meine Aktionen sich an der Grenze zwischen Realität und Fantasy bewegen.“

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