Rechtlos unter fremden Flaggen

Die Folgen der Globalisierung sind nirgends so spürbar wie in der Seeschiffahrt. Viele Reeder versuchen, ihre Frachter unter Billigflaggen laufen zu lassen. Die Seeleute auf solchen Schiffen werden teils wie Leibeigene gehalten. In Oslo fand vor fünfzig Jahren eine Gewerkschaftskonferenz statt, um Seeleute vor den Folgen der Entrechtung zu schützen. Aus Hamburg eine Reportage über den Alltag philippinischer Seemänner und ihre Angst, den Job zu verlieren  ■ Von Andrea Böhm

Heimweh macht aufsässig. An einem grauen Regentag im Hamburger Hafen, wenn man das letzte Geld mit Ferngesprächen vertelefoniert hat, muß man einfach die Wut kriegen. Der Himmel verschwimmt mit dem Brackwasser, der Nieselregen mischt sich mit Öl und Rost, und Menschen sehen zwischen Frachtschiffen und Containerbrücken sehr entbehrlich aus. Wobei Wut ein relativer Begriff ist. Filipinos werden anders wütend als Russen oder Pakistanis. Christiansen kennt sich da aus.

Es ist Donnerstag gegen zwölf Uhr, als er zum ersten Mal an Bord der „Mariner C“ klettert. Einer russischen Mannschaft hätte er einfach sagen können: „Leute, wenn's hart kommt, müßt ihr streiken.“ Dann hätten sie sich gegenseitig mit viel Pathos den nötigen Mut eingeredet. Aber hier hat er es mit achtzehn Filipinos zu tun, von denen nur zwei den Willen zu einer Konfrontation erkennen lassen: Teodoro Sinzon· der kleine pummelige Matrose, in dessen winziger Kabine ein handgeschriebenes Vaterunser wie ein trauriges Selbstgespräch über dem Waschbecken hing.

Und Fernando Ramos, der schlaksige Mechaniker, der seine Brille wie ein zerstreuter Professor mit einem Schnürsenkel an den Bügeln befestigt hat, damit sie sich nicht von der ölverschmierten Nase in die Eingeweide des Maschinenraums verabschiedet. Ramos hat einen Gesichtsausdruck, der jede Unterwürfigkeit verweigert. Die Funktionsweise des Wassertanks erklärt er mit der müden Indignation eines Hotelgastes, der sich zum sechsten Mal über die tropfende Dusche beschwert: Hier fließt das Kühlwasser der Maschinen hinein, hier schwimmen Rostteilchen, hier riecht es nach Metall, und „hieraus trinken wir“, sagt er und wuchtet die Luke wieder zu.

Es gibt Mineralwasser an Bord. Aber Mineralwasser ist ausschließlich für den griechischen Kapitän und die griechischen Offiziere reserviert. Das gehört zu den vielen ungeschriebenen Gesetzen der „Mariner C“, die bislang niemand in Frage gestellt hat. Einzig das Gesicht des Mechanikers mit der Schnürsenkelbrille läßt jeden auf dem Schiff spüren, daß diese Apartheid des Trinkens nicht hinnehmbar ist.

Aber selbst er hätte seine Wut gerne sauber zusammengefaltet und an Christiansen weitergereicht.

Der bekam diesen Fall vor drei Tagen auf den Schreibtisch. Die „Mariner C“, ein zweiundzwanzig Jahre alter Massengutfrachter mit 36.501 Bruttoregistertonnen, hatte wenige Tage zuvor ihre Erzladung aus Südafrika im Hansaport gelöscht. Sie wäre umstandslos wieder ausgelaufen, hätten nicht Ramos und Sinzon bei ihrem Landgang im Seemannsheim „Duckdalben“ eine Liste in holprigem Englisch mit sechsundzwanzig Beschwerdepunkten auf den Tresen gelegt.

Das Heim, ein Backsteinhaus mit großen Fenstern, paßt in das gigantische Geflecht von Terminals, Autobahnauffahrten, Lagerschuppen und Schrotthalden so gut wie eine Jugendherberge zwischen Ölbohrtürme. Irritierend, diese üppigen Angebote an menschliche Bedürfnisse in dieser Gegend, wo es für Seeleute so gut wie keine öffentlichen Nahverkehrsmittel in die Stadt gibt.

Das Seemannsheim „Duckdalben“ wirkt vielleicht deshalb so heimelig. Dort kann man in allen religiösen Stilrichtungen beten, Billard spielen, Kondome ziehen, Soap-operas auf singhalesisch und Nachrichten auf russisch empfangen, Bier trinken und aus buntgestrichenen Kabinen nach Hause telefonieren. Von hier aus hatte Sinzon, seit neun Monaten an Bord der „Mariner C“, in einem teuren Gespräch von seiner Frau erfahren, daß die Reederei seit vier Monaten keine Heuer mehr an die Familie überwiesen hat.

Die Ungewißheit hat bei Sinzons Gattin Zweifel an dessen ehelicher und finanzieller Treue genährt. Den sich anbahnenden Ehekrach konnte er nur mit Mühe abwenden. Spätestens an diesem Punkt muß er beschlossen haben, sich Ramos mit der Schnürsenkelbrille und seiner unterschwelligen Bereitschaft zum Protest anzuschließen.

Neun Monate an Bord der „Mariner C“ – das hieß Wache schieben, Rost klopfen an den Luken, Taue spleißen, Rost klopfen am Radiomast. Und im Kriechgang die stinkenden Bilgen reinigen, deren Hydraulik längst nicht mehr funktionierte, Rost klopfen an den Bolzenschrauben. Ölflecken reinigen, Dämpfe von Farblösungsmitteln und Kohlenmonoxid aus der undichten Abgasturbine einatmen. Rost klopfen in den Laderäumen, in die das Ballastwasser aus den Pumpen leckte. Rost klopfen an der Reeling. Wieder Wache schieben und bei Monsunstürmen zur Jungfrau Maria beten. Umso inständiger, je häufiger das Kühlsystem versagte, die Maschinen gestoppt werden mußten und das Schiff wie eine Schuhschachtel in die nächste Wellenwand krachte.

Bei ruhiger See oder im nächsten Hafen schlurften sie im Gänsemarsch zu den notdürftigsten Reparaturarbeiten an Deck – in abgelaufenen Gummistiefeln, einer dreifachen Schicht durchlöcherter Pullover und mit Turbanen aus alten T-Shirts. Von weitem sahen sie aus wie Statisten in einem Katastrophenfilm, was ihre Situation auch bei näherer Betrachtung treffend beschreibt: Philippinische Seeleute auf einem griechischen Massengutfrachter unter panamaischer Billigflagge mit fußballgroßen Rostlöchern auf dem Deck, die nach jedem Sturm zahlreicher wurden, und einer Reederei, die seit vier Monaten keine Löhne mehr an ihre Familien überwiesen hatte.

Der Sozialarbeiter Dirk Stähler, der an jenem Abend im Seemannsheim Dienst hatte und solche Geschichten allzu gut kannte, faxte die Beschwerdeliste an die Hafenbehörden weiter. Sein Schreiben enthielt noch einen Zusatz: „...Aber Vorsicht, weil die Seeleute Angst haben.“ Einen Tag später stattete die Seeberufsgenossenschaft der „Mariner C“ einen Besuch ab und erließ zwecks Ausführung von Notreparaturen ein Auslaufverbot. Eine Probenentnahme aus dem Trinkwassertank durch den hafenärztlichen Dienst verweigerte der Kapitän.

Die Seeberufsgenossenschaft faxte die Beschwerdeliste weiter an Ulf Christiansen, den Hamburger Inspektor der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF). Jetzt mit dem Zusatz: „Sie werden diesen Angaben sicher gerne nachgehen.“ Nun saß das Schiff fest – und der Gewerkschafter in der Kammer des Kapitäns.

Christiansen besitzt das große Kapitänspatent und war siebzehn seiner zweiundvierzig Lebensjahre zur See gefahren. Auf ordentlichen Schiffen, wo die Seeleute Tarifverträge hatten, die Maschinen funktionierten, die Kabinen nicht aussahen wie Arrestzellen und wo ein paar Videorecorder, Sportgeräte und Spiele garantierten, daß niemand zwischen Rostklopfen, Wacheschieben und wochenlangem Anblick von Himmel und Meer einen Schiffskoller bekam.

Seit sieben Jahren ist Christiansen Inspektor der ITF-Gewerkschaft und kämpft vor allem gegen das System der Billigflaggen. Wasser und Geld sind flüssige Elemente, und sie werden seit Jahrzehnten in einem Prozeß vermischt, den man heute unter dem Stichwort Globalisierung als neue Epoche ankündigt. Dieses Prinzip hatten Schiffsbesitzer allerdings schon viel früher begriffen: Wessen Land die zweckmäßigsten Regeln zur Gewinnmaximierung bietet, die lächerlichsten Hürden zum Schutz von Seeleuten und zur Instandhaltung der Schiffe aufstellt, dessen Fahne weht gegen Entrichtung einer Registrierungsgebühr auf dem Heck.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hatten sich die Reeder auf ein Heer von gut ausgebildeten, nichtorganisierten osteuropäischen Seeleuten zu Niedrigstlöhnen gefreut – doch die Gewerkschaft der Transportarbeiter, die von der Beweglichkeit der Menschen und des Kapitals auch einiges versteht, war schneller gewesen. Längst tauchen ihre Vertreter auch in den Häfen von Riga, Stettin, St. Petersburg oder Wladiwostok auf, gehen ungebeten an Bord, stellen unerwünschte Fragen, fordern ITF-Tarifverträge für die Besatzung.

Sie können keine Reederei zwingen, aber sie können die Hafenarbeiter dazu bringen, das Schiff zu boykottieren. Dann wird der Reeder, dem das Schiff gehört, nervös – und der Charterer, dem die Ladung gehört, unruhig. Dieser Trick funktioniert gut – vorausgesetzt, vollautomatische Containerbrücken haben noch nicht zu viele Hafenarbeiter ersetzt. Vorausgesetzt, das Arbeitsamt schickt nicht wie in Deutschland Streikbrecher. Vorausgesetzt, die Hafenarbeiter werden nicht wie in England nur noch pro Schiff bezahlt, das sie be- und entladen.

In seinen sieben Jahren als ITF-Inspektor hat Christiansen rattenverseuchte Mannschaftsquartiere gesehen, Kakerlaken in den Schiffskochtöpfen, Toiletten, in denen eine knöchelhohe braune Brühe stand; Seeleute, die seit Monaten keine Heuer oder seit Tagen keinen Proviant mehr bekommen hatten; Reeder, deren völlig überladene Schiffe untergegangen waren und die die Unfallversicherung der ertrunkenen Seeleute einkassiert hatten; Kapitäne, die aufmüpfige Matrosen kurzerhand im nächsten Hafen ohne einen Pfennig Geld von Bord geworfen hatten. Ausgestattet mit dem festen Glauben an ein Mindestmaß von Anstand in jedem Menschen, wuchs Christiansens Vorstellungsvermögen von dem, was an Schweinereien möglich ist – langsam zwar, dafür stetig.

Inzwischen hält er „so ziemlich alles für möglich“, aber das hat nichts an seiner Vorgehensweise geändert. Christiansen besitzt ein eigentümliches Zeitgefühl. Seine Sätze breitet er so sorgfältig aus wie Holzplanken, die ihn sicher vom Kai an Bord führen sollen. Begegnet ihm jemand hektisch, so kann er dessen Mangel an Bedächtigkeit mit zwei Sekunden freundlichem Schweigen bloßstellen. Daß einer, der den Konflikt sucht, so überhaupt keine Angriffslust versprüht, legt man in der Männergesellschaft der Seefahrer gern als Schwäche aus – und oft begreifen Kapitäne und Reeder zu spät, daß genau das Christiansens Stärke ist: Er beherrscht die Kunst der freundlichen Zermürbung.

Es ist mittlerweile vierzehn Uhr, Christiansen, seit einer Stunde auf der Brücke, hat sich vorgestellt und dann schweigend das anrollende Chaos beobachtet: Der Kapitän ist weitgehend entmachtet, ein Reedereivertreter, überstürzt aus Griechenland entsandt, hat die Regie übernommen. Er steckt in einem verblichenen Overall, an den Füßen noch die Gucci-Schuhe und die Seidensocken, mit denen er ein gepflegtes Clubwochenende in Athen abschreiten wollte.

Inzwischen klebt verkrusteter Erzschlamm auf dem feinen Leder. Er schnauzt auf englisch den Vertreter der Hapag-Lloyd-Versicherung an, der weitere Tests an den Bilgenpumpen vornehmen will. Die Wasserschutzpolizei hat sich zur nächsten Inspektion angemeldet, ein Mitarbeiter von Blohm + Voss, einer Hamburger Traditionswerft, stellt eine saftige Reparaturrechnung in Aussicht, während seine Männer an Deck zu deutschen Stundenlöhnen noch die letzten Reste von 85 Metern Stahl über Rostlöcher schweißen.

Zwischendrin erkundigt sich Christiansen mit hanseatischer Höflichkeit nach der Familie des Kapitäns, flicht ein paar Fragen nach Verpflegung und Entlohnung der Mannschaft ein. Aus dem Fenster kann er beobachten, wie die philippinischen Turbanmatrosen an den deutschen Werftarbeitern vorbei zum Rostklopfen marschieren. „Haben nie Arbeitskleidung von Reederei erhalten“, stand unter Punkt drei auf der Beschwerdeliste von Ramos und Sinzon.

Doch Christiansen hat für Mißstände dieser Größenordnung keine Zeit. Ihn beschäftigt vielmehr der Umstand, daß die Filipinos Blankoarbeitsverträge unterschrieben hatten. Sie werden nicht nur weit unter dem Tarif der ITF für Billigflaggenschiffe, sondern sogar unter den viel niedriger angesetzten Mindestlöhnen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bezahlt.

Ramos bekommt statt dem ILO-Minimum von 959 Dollar 700 Dollar im Monat, Sinzon statt 870 Dollar nur 469 Dollar – wenn denn überhaupt ausbezahlt wird. „Ihre Reederei“, sagt Christiansen mit dem Sanftmut eines geduldigen Nachhilfelehrers, „schuldet den Seeleuten insgesamt 56.581 Dollar. Die Crew möchte außerdem in Hamburg von Bord und zurück auf die Philippinen.“ Der Grieche mit den Seidensocken schnappt sich wortlos ein Bier aus dem Kühlschrank, läßt sich in einen der zerschlissenen Sessel fallen und starrt auf den Fernseher. Der Sender „Eurosport“ überträgt eine Wasserspringveranstaltung.

Christiansen greift mit einem freundlichen „Darf ich?“ zum Bordtelefon und wählt die Nummer der Reederei in Athen.

„Billigflagge“ ist kein Wort, mit dem die Herren von der „Astron Maritime Company“ etwas anfangen können. Die panamaische Fahne mit dem roten und blauen Stern am Heck der „Mariner C“ ist dem international geläufigen Jargon nach eine flag of convenience – eine Flagge der Zweckmäßigkeit, der Annehmlichkeit.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es nach den amerikanischen Reedern vor allem griechische, die ihre Schiffe unter panamaischer, liberianischer oder honduranischer Flagge registrieren ließen – aus Angst vor der Verstaatlichung im Fall eines Sieges der Kommunisten. Der trat nie ein. Die Schiffseigner sind bis heute die größten Nutznießer dieses Systems – und obwohl die „Mariner C“ seit Tagen höchst unzweckmäßige Kosten im Hamburger Hafen verursacht, weiß man in Athen, daß sich das Schiff auch dieses Jahr rechnen wird. Bis zu einer Million Dollar lassen sich pro Jahr und Schiff durch Verstöße gegen internationale Standards und Vorschriften einsparen – nach Abzug von Strafgeldern. Die „Mariner C“ war in den letzten Monaten selten erwischt worden. 25.000 Dollar Strafgeld in New Orleans, weil die Pumpe für die Sanitäranlagen nicht funktioniert und der Kapitän die Kloake in den Mississippi gekippt hatte.

In Hamburg würde vielleicht ein Bußgeld anfallen, weil im Hafen Öl ausgelaufen war. Und 56.581 Dollar Nachzahlung, um die Heuer der Crew auf das ILO-Minimum zu bringen. 35.000 Dollar bot der „Astron“-Geschäftsführer durchs Telefon und erkundigte sich nach dem Zustand der „Girls“ auf St. Pauli: „Im übrigen können Sie den Kerlen sagen, daß sie keinen Cent kriegen, wenn sie von Bord gehen. Mit Schiffen hat man heute nur noch Ärger. Ich sollte einen Supermarkt aufmachen, dann könnte ich jeden Tag Geld scheffeln.“

Christiansen trägt die Nachricht nach unten in die Mannschaftsmesse. Auf dem Fernsehschirm springt unscharf ein Wasserspringer ins azurblaue Becken. Es gibt zur Freizeitgestaltung außerdem eine halbe Tischtennisplatte, die Reste von ein paar Kartenspielen, ein halbes Dutzend Bücher. Der Koch hat das Plastikgeschirr vom Mittagessen weggeräumt – irgendeinen Eintopf mit Reis, zum Nachtisch einen Apfel. „Fleisch gibt es nur für die Griechen“, sagte Sinzon und huscht hinter die Tür, die der erste Offizier kurz auf- und wieder zuriß. Es war gefährlich genug, daß ein Gewerkschafter an Bord war – um nichts in der Welt sollte herauskommen, wer ihn geholt hatte.

Gegen neunzehn Uhr ist das schier Unmögliche eingetreten: Die philippinische Crew tritt geschlossen zur Protestkundgebung in der Kapitänskammer an. Beklommen die einen, trotzig die anderen, wirken sie wie eine Schulklasse, die das Direktorenzimmer besetzt hat und nun nicht mehr recht weiterweiß. Christiansen verliest bedächtig die Beschwerdeliste der Crew. Bei Punkt 15, „Discrimination on board“, würde er gerne vermittelnd erklären, daß die Verweigerung von sauberem Trinkwasser nicht nur eine Gefährdung der Gesundheit, sondern auch einen für Asiaten besonders empfindlichen Gesichtsverlust bedeutet. Er täte auch gerne erklären, daß die Verrichtung der Notdurft bei stürmischer See schon schwer genug ist und eine Demütigung darstellt, wenn man dabei in einer stinkenden Pfütze steht und zur Spülung einen zu kurzen Gartenschlauch an den Wasserhahn eines abgerissenen Waschbeckens anschließen muß.

Aber Punkt 15 war zuviel für den Griechen mit den feinen Strümpfen, dessen Gesichtsfarbe über den Tag und mehrere Biere hinweg einen zunehmend cholerischen Farbton angenommen hat. „Diskriminierung?“ brüllt er, „Griechen diskriminieren nicht.“ Christiansen betrachtet gründlich die geschwollene Stirnader des Mannes. „Ich glaube, es ist besser, wir unterbrechen das Gespräch jetzt“, sagt er mit derselben Ruhe und Bedächtigkeit, mit der er sich acht Stunden zuvor vorgestellt hatte. Die Lage sieht hoffnungsvoll aus. Die Notreparaturen sind durchgeführt, eine weitere Verzögerung durch eine streikende Crew liegt nicht im Interesse der Reederei, der Kapitän würde den bis dahin undenkbaren Auftritt der Filipinos sofort nach Athen melden – und man würde sich vielleicht bei 40.000 Dollar einigen.

Am nächsten Tag wartet Christiansen in seinem Büro auf eine Nachricht von Ramos und Sinzon. Er geht zum Mittagessen in die Kantine des Hamburger Schauspielhauses und wundert sich, daß ihm noch nie das riesige Plakat an der Außenwand mit dem Zitat von Elfriede Jelinek aufgefallen war: „Wir haben auch echte Menschen im Sonderangebot.“

Ramos und Sinzon riefen nicht mehr an. Gegen Nachmittag rief sein bestens gelaunter ITF-Kollege aus Rostock an. Der hatte die deutschen Hafenarbeiter zum Boykott gegen eine Billigflaggenreederei mobilisiert und ITF-Verträge für vier Schiffe durchgesetzt. Am nächsten Abend meldete sich Dirk Stähler aus dem Seemannsheim. Ja, die Filipinos waren noch einmal da gewesen und hatten ziemlich elend ausgesehen.

Statt die Heuerforderung zu erfüllen, hatte die Reederei den Bemannungsagenten einfliegen lassen, der den Seeleuten die Jobs vermittelt. Es gab ein Gespräch. Danach unterschrieben alle eine Erklärung, wonach sie keine Beschwerden gegen die Arbeitsbedingungen auf der „Mariner C“ vorzubringen hätten. Es war der Tag, an dem Ramos und Sinzon nicht nur ihr Geld, sondern auch ihr Gesicht verloren.

(Namen von der Redaktion geändert)

Knut Schulz, 26 Jahre, arbeitet als Fotograf bei Signum in Hamburg. Seine Schwerpunkte: Reportagen und Portraits aus Hamburg und anderswo.

Andrea Böhm, 37 Jahre, arbeitete von 1989 bis 1998 bei der taz, zunächst als Lokalredakteurin, später als USA- Korrespondentin, zuletzt als Reporterin.