Oase in der Dienstleistungswüste

Das Westwerk – vom besetzten Haus zur Institution: Die Künstlerkolonie in der Admiralitätstraße zeigt, wie sich Kultur Raum greifen kann, ohne von offizieller Seite vereinnahmt zu werden.  ■ Von Thomas Schulze

Risikofreude, Neugier und kopfloser Drang: Das sind Eigenschaften, um Räume für das Unmögliche zu schaffen. Ein erkennbarer Plan wird dabei oft erst im Nachhinein sichtbar. So wie bei der Etablierung des Westwerks.

Als ein Häuflein Künstler Ende 1985 in der Admiralitätstraße loslegte, war der gesamte Komplex von der Michaelisbrücke bis zur Ost-West-Straße der Abrißbirne geweiht. „Wir wußten, daß wir wahrscheinlich nicht lange bleiben können und haben das Ganze eher als Experiment gesehen“, erzählt Mathew Partridge, der seit den frühen Tagen hier lebt.

Aber es kam natürlich ganz anders: Seit 12 Jahren haben ungezählte Besucher das ehemalige Papierlager der Firma Michaelis als – mittlerweile eingeführten – Ort von Ausstellungen, Installationen, Filmabenden, Lesungen oder etwas anderen Musik-events erlebt. „Das, was man kennt, ist das, was im Erdgeschoß stattfindet, und nicht die gemeinsamen Aktivitäten der Künstler im Haus“, sagt Partridge, der sich im rückwärtigen Speicher mit Fleetblick eingerichtet hat. In dem Veranstaltungsraum überlagern sich heute die Nutzungsspuren der Lagerarbeit mit der Patina des Kunsttreffs. „Es ist irre, wie viele Leute teilweise nur deswegen kommen, weil ein Ort eine bestimmte Aura hat – und diese Aura ist irrational.“

Blicken wir zurück: Mitte der Achtziger ist die Fleetinsel ein überwucherter, ungenutzter Platz im Visier der Baubehörde, ein alteingesessenes Fahrradgeschäft bedient dort seine Kundschaft. Eine verschlafene Oase in der Dienstleistungswüste der Innenstadt. Nur ein Häuflein alter Bausubstanz steht einer großflächigen Überplanung im Weg.

Einer der Gründer des Westwerks, Carsten Dane, wohnte dort und erkundete das leerstehende Gebäude. Dem Charme der alten Kontore und Speicher erlegen, galt es, den Vermieter, die städtische Sprinkenhof AG, vom Sinn der neuen Nutzung zu überzeugen. Das gelang dank eines kunstfreundlichen Sachbearbeiters, ein Verein wurde gegründet. Auch als die Künstler verbotenerweise in den Räumen wohnten, drückte der Mann ein Auge zu – was schließlich von den Westwerk-Aktivisten als Argument gegen die Räumung ins Feld geführt wurde. Mit den Mitteln der „Geheimdiplomatie“ und „Hintertürpolitik“ fand man einen Investor, dessen Konzept vorsah, die Häuser zu erhalten. Hans Jochen Waitz, Rechtsanwalt und Freund zeitgenössischer Kunst, kaufte die Straße und engagierte sich so für die jungen Künstler. „Es ging ihm eindeutig darum, bestehende Infrastrukturen nicht grundsätzlich anzutasten, sondern sie bestehen zu lassen, solange sie einigermaßen selbsttragend sind. Insofern sind wir heute noch immer ein selbstverwaltetes Haus“, stellt Partridge fest. Aber in 12 Jahren hat sich auch viel verändert: Wurde anfangs der Betrieb spontaner gefahren, geht man heute mit der eigenen kreativen Energie gezielter um. Galerie oder Club, Vereinsheim oder Konzertsaal – das Westwerk ist von allem etwas und doch mehr als die Summe seiner Teile: Es ist ein ganzes Haus – voller notorischer Individualisten. Dort bietet sich nicht nur Lebensraum für 20 Erwachsene und mehrere Kinder, sondern auch Platz für Kunst; es gibt Übungsräume für Musiker, und im Keller, in dem ehemaligen Schießstand der Deutschen Bank, hat Cpt. Kirks Tobias Levin sich ein kleines, aber feines Studio eingerichtet, wo regelmäßig die spannendsten Bands der Stadt aufnehmen.

„Das, was hier immer richtig schön funktioniert hat, ist das Zusammenschmeißen. Es gab viele schöne Momente, und das waren nicht immer die Erfolgsmomente. Ich erinnere mich an ein polnisches Akkordeontrio, das den weiten Weg im Winter zurückgelegt hatte. Alles war in rotes Licht getaucht, unglaublich schön. Aber es waren nur sieben Besucher da. Das war zwar peinlich diesen begnadeten Musikern gegenüber, von der Stimmung her war es allerdings fast wie in einer Kirche.“

Verkündeten die Westwerkler 1988 noch auf Spruchbändern in gutem alten Faßbinder-Idiom „Senat fressen Straße auf“, bestätigt sich in diesen Tagen, daß Investor noch besser verdauen kann. Tritt man heute aus dieser Trutzburg des Individualismus auf den Fleetmarkt, sieht man sich einem Trauerspiel von Verwertungswahn und Privatisierung öffentlichen Raums gegenüber. Edelabsteigen stehen hier neben verwaisten Bürotürmen. So funktioniert das Westwerk als Paradebeispiel, wie sich Kultur Raum greift, ohne sich von offizieller Seite vereinnahmen zu lassen. Diese Örtlichkeit dient weder als weicher Standortfaktor noch der „Festivalisierung“ der City. Geplant wird im Westwerk immer noch nicht. Partridge: „Das ist ja das Positive.“

Den dritten Teil des taz-Reports „Kultur greift Raum“ lesen Sie am Mittwoch. Dann geht es um das H7 – eine Kammer voll Kunst über den Dächern Hamburgs.