Zwitterformen des Biodynamischen

■ Food-Coops, Mitgliederläden, Ökomärkte: Ein kleiner Wegweiser durch die weitverzweigte Bioladenlandschaft im Viertel

Hell leuchten die Wände allseits in freundlichen Gelbtönen, Vollkorndüfte locken über die Schwelle, und in pastellener Zurückhaltung winken von fern die Kosmetika. Das ist bei Abakus nicht anders als im Bauernladen, bei Grütz ist das genauso wie bei Kraut & Rüben. Und doch sind hier sehr verschiedene Kräfte am Werk.

Was, zum Beispiel, macht am frühen Freitag morgen die leere Flasche Pinkus hinter der Theke? Und der randvolle Aschenbecher im Büro. Lothar Zumfelde grinst aus dicken Augenrändern: „Es ist viel mehr Arbeit als wir dachten. Heute morgen um ein Uhr standen wir uns hier plötzlich wieder gegenüber.“ 'Wir': das sind Lothar Zumfelde und Martina Meyer von Abakus. Gemeinsam hoben sie vor vier Monaten Bremens jüngsten Bioladen aus der Taufe. Sie, Martina, brachte aus Berlin die Idee mit, er brachte die Erfahrungen als Bio- und Maschinenbauer, als Großkauf- und Zimmermann mit.

„Mit 270 Mitgliedern“, sagt Martina, „trägt sich der Laden – gerade so“. Mitglieder sagt sie, nicht Kunden. So mir nichts, dir nichts kann man nämlich in dem großen Laden am Ende der Grundstraße nicht einkaufen. Als „Mitgliederladen“ bildet er eine Zwitterform zwischen den allseits offenen Läden wie Kraut & Rüben, Schrot & Korn, Gaja oder dem Krämerladen einerseits und den Bauernläden der Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft (EVG) andererseits. „Wir sind die Food-Coop im Dienstleistungszeitalter“, bringt Lothar sein Geschäft auf den Punkt.

Die echte, alte Food-Coop nämlich, das ist der Bauernladen. Wenig Service, viel Mitarbeit ist hier gefragt: Die Gemeinschaftvon Erzeugern und Verbrauchern am Ort ihrer Interessens-kollision, dem Markt. „Sinn und Zweck“ der Angelegenheit, sagt Hanna Lässig von der EVG, sei der Zusammenschluß von Biobauern und großstädtischen Konsumenten: „Die kriegen mit, daß Bauernhöfe keine Fabriken sind, und daß es weniger Eier gibt, wenn es naß und kalt ist.“ Die EVG also ist die schöne und ideologische Angelegenheit des reinen Marktes, an dessen Scharnier kein Parasit mehr Wert schöpft. Höchstens ein bißchen Aufwandsentschädigung für die fleißigsten Genossenschaftler ist drin: „Weniger als eine v iertel Stelle“, sagt Hanna Lässig. Der Genossenschaftsanteil beträgt einmalig und rückzahlbar 100 Mark, der Monatsbeitrag 10 Mark für Einzelne: „Bei uns im Laden sind das rund 200 Leute, die ziemlich konstant seit Jahren mitmachen.“ Wöchentlich kommen rund zehn Bauern vorbei und bringen ihre Ware; ein Großhändler von hinter Hannover schickt Hautcreme und Öle vorbei; auch Rosinen, Reis, Waschmittel gibt es aus dem Handel; und im Winter werden die Lücken mit Apfelsinen und Zitronen vom Großmarkt gefüllt.

So ganz anders ist das bei Martina und Lothar im Abakus eigentlich nicht. Natürlich ist alles bio, auch hier kommen manche Erzeuger bis in den Laden – aber die Großmarktanteile sind sehr viel größer – im Sommer gibt es Birnen aus Argentinien und Orangen aus Valencia. Mitglied werden kann man für ein einmaliges Darlehen von 60 Mark und für einen Monatsbeitrag von 30 Mark. Das ist teurer, aber dafür hat man auch keine Arbeit. Die wird von den beiden Unternehmern erledigt – im eigenen Laden und zur Zeit noch an der Grenze des Existenzminimums. „Das Prinzip ist ganz einfach“, sagt Lothar Zumfelde, „die Fixkosten und die Löhne sollen über die Mitgliedsbeiträge reinkommen; die Produkte verkaufen wir dafür fast zum Einkaufspreis.“ Fast. Die Mehrwertsteuer und eine Schwune-Pauschale von 10 Prozent kommen noch drauf. In Berlin funktioniert das Prinzip inzwischen kettenweise, berichtet Martina Meyer – aber auch in Bremen sind die Abakusse nicht die ersten. Klein und emsig ackert Grütz in der Hamburger Straße nach dem gleichen Prinzip und ärgert sich ein bißchen, daß die neue, schnelle Konkurrenz im Steintorviertel so tut, als gäbe es nur sie.

Und weit ab vom Viertelschuß, in der Neustadt, ackern auch die beiden ausgebildeten Ernährungswissenschaftler Dieter Vogt und Thilo Bunte mit ihrem Oecotop in der Lehnstedter Straße schon seit anderthalb Jahren nach dem gleichen Prinzip. Das Monatsabo kostet nur 27 Mark, auch auf ihre Produkte schlagen die beiden jungen Männer höchstens fünf Prozent drauf – Probeabos zum Reinschnuppern gibt es auch. Wie Lothar und Martina hat das Oecotop gut 250 Mitglieder.

Ein hartes Brot bei Arbeitszeiten von 5 Uhr morgens bis 20 Uhr abends. Beruhigend aber sei: „Wer kommt, der bleibt.“ Wer für mehr als achtzig Mark monatlich einkauft, für den rechne sich der Monatsbeitrag von dreißig Mark, schätzt Lothar. Nur vier Leute hätten in den ersten vier Monaten wieder gekündigt. „Das ist das Schöne“, lächelt Martina: „Ich weiß genau, für wen ich diesen Käse hier kaufe.“ Und für wen die Salabim-Schokocreme hinten im Ikearegal. Für Sigrid. „Geil“, findet die das: „Am Anfang hatten die nur Samba. Ich steh aber nun mal auf Salabim. Nach einer Woche wars da.“ Seit sie bei Abakus ist, hat sie keinen anderen Bioladen mehr betreten. Kundenbindung ist das Prinzip. Mit individueller Wunscherfüllung und kleinen Preisen – wie im richtigen Großstadtleben eben.

Das spielt sich flink und verdichtet ein paar hundert Meter weiter am Ostertorsteinweg ab. Ein Blick ins Schaufenster von Gaja, ein prüfender Griff in die Apfelkiste auf dem Biomarkt, ein paar Schritte rüber in die Wulwestraße. Schnelle Preisvergleiche, zögerndes Zupacken – der freitägliche Gang des Ökoflaneurs durchs Viertel. Robert Baier, der seit 18 Jahren den Kraut & Rüben-Laden führt, glaubt denn auch nicht an eine wirkliche Konkurrenz durch Abakus.

Wichtiger wäre es, „endlich die vierzig Prozent Grün-Wählern hier im Viertel“ in die Bioläden zu holen: „Dann könnte man noch jede Menge mehr Läden gründen.“ Einen Einbruch in seine rund tausendköpfige Stammkundschaft habe es zumindest nicht gegeben. Und die Preise? „Ach, die hängen doch erstmal davon ab, bei welchem Großhändler man kauft.“ ritz