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■ Anläßlich einer Ehrung widmet die Kunsthalle dem Pop art-Recken Richard Hamilton eine tolle Retrospektive

Und die Bremer Kunsthalle kriegt wieder nur die Kleinen ab. Kein Bild von Richard Hamilton ist auch nur annähernd ein Quadratmeter groß, denkt der Laie – und denkt nicht nur falsch, sondern niedrig. Weiland, auf der documenta X, hat sich Hamilton nur ins üppige Format verstiegen, um Präsenz auf dem Kunstmarkt zu zeigen, mutmaßt Kunsthallenchef Herzogenrath. „Können Sie ruhig so schreiben.“ Eine Art kalkuliertes Brunstverhalten eines Teilvergessenen also. Der Künstler mit dem auffällig kleinen Werkverzeichnis „verweigert sich zwar dem Kunstmarkt – aber spielt eben auch damit“. In Bremen nicht. Bis zum Plazieren der Beschriftungstäfelchen ist die Ausstellung eine Art Bekenntnis zu Genauigkeit und gegen das Klotzen. Ungesunde drei Tage nach Implantation eines Herzschrittmachers ist Hamilton extra aus London eingeflogen, um das Ergebnis nochmal zu überprüfen. Fassen wir also die Wahl des kleinen Formats als Kompliment an den Bremer Kunstverstand auf.

In Lexika ist der 70jährige verschubladet als „Begründer der britischen Pop art“. Herzogenrath ergänzt: „der intellektuelleren Pop art“ und meint wohl: der intelligenteren. Trotz festem Sitz mitten im Klassikerolymp kann er – wieder der Chef – die 25.000 Mark Preisgeld der Norddeutschen Landesbank gut gebrauchen. Ein Tatbestand, der versöhnt mit der namedroppenden Vergabepolitik (Baselitz, Penck, Kounellis, Kirkeby...) dieses Preises. Übrigens werden auch Ausstellung und Katalog komplett finanziert aus unser aller Bankgebühren und Zinsdifferenzen. „In Deutschland einmalig.“

„Postmoderne“ als Begriff hat die Pubertät, Gott sei Dank, langsam hinter sich: frühe 80er Jahre. Als Lebensform gibt es sie wohl schon immer. Es waren aber die 60er, welche die ersten Theorieklassiker gebaren. In „24 Parkplätze in L.A.“ und „Learning from Las Vegas“ dachten Ed Ruscha und Robert Venturi nach über „Komplexität und Gegensätzlichkeit“ in der Architektur und über Inspiration durch zeichen- und signalstarke Schundarchitektur. Etwa zeitgleich collagierte Hamilton Wohnungsinterieurs wild zusammen aus ein bißchen Barock, Renaissance, Büromöbel und Bildungsbürgerbücherregal. Komplexität und Gegensatz. Zunächst konstruierte er seine zersplitterten Identitäten mit Schere und Kleber, dann mit dem PC. Genauer: Der Cyberspace jedes einzelnen Bildes entsteht im (fast) unendlichen Zickzack zwischen Foto, Farbgedrippe und Photo-shop-Programm. Und oft macht es bei dem notorischen Fortspinner den Heureka-Klick, wenn sich eins zum ganz anderen fügt. Der Geist des politischen Widerstands zum Beispiel erhellte sich ihm beim Kurzschließen von James Joyce-Lektüre und einer TV-Reportage über IRA-Hungerstreikende. Da surft einer von einer Anregung zur nächsten.

Klar, daß der Couch potato mit dieser Samplingmethode mehr erkennt als Warhols simple Tatsache, daß Marilyn Monroe eine Ikone sei. So fiel Hamilton zum Beispiel eine der ersten Werbungen ins Auge, die nicht durch Produktanpreisung, sondern durch Atmosphäre einnehmen wollte; so wie es heute alle zwischen C&A und Nike tun. Daß es sich dabei um Toilettenpapierwerbung handelte, dürfte dem Ironiker und Liebhaber von Kothäufchen Spaß gemacht haben. Daß die Anzeige mit ihrer Kombination von romantischer Landschaft und Stuhlgang von der später berühmten Op Art-Künstlerin Bridget Riley konzipiert worden war, ist auch schon wieder so ein Kurzschluß. Diesmal ein unfreiwilliger. bk

Ein fundierter Hamilton-Essay folgt demnächst im überregionalen Kulturteil der taz.

Die Ausstellung wird Sonntag um 11.30 Uhr eröffnet und endet am 18. Oktober. Die Fotos entnahmen wir dem Ausstellungskatalog.