■ Warnung und Mahnung: Was vom Imbißstandort Ostdeutschland zu halten ist
: Die Bratwurst-Bredouille

Wir kamen von der Bindestrichhalbinsel Fischland-Darß-Zingst, wo uns nackichte FKK-Ganzkörpermettwürste vom Strand vertrieben hatten. Hastig wurde die Karosse betankt, auf ein ordentliches Proviantpaket verzichteten wir und brausten heiter hauptstadtwärts. Durch die Mecklenburger Teich-Tektonik führte der Weg, danach genau durchs Brandenburgische, jene Teile der Republik mithin, von denen man weiß, daß ihre Bewohner aus politischen Gründen auf dem Kopf Bürste tragen und aus finanziellen Gründen in Imbißbuden Würste braten.

Waren und Teterow: Kein Grillknilch weit und breit

So will es der Brauch seit 1990, als circa jeder erste Ostbewohner die Wegelagerei als Neben- und Haupterwerb entdeckte und sich wurstbratend und broilerbrutzelnd an Straßenrändern aufpflanzte. Wozu da noch Proviant mitnehmen? Hatten wir nicht auch auf der Fahrt durch Thüringen alle wurstlang haltgemacht, um uns die herrlichsten Würste, oder, wie man dort sagt: Riesenroster reinzurammen? Freilich hatten wir das!

Also kamen wir durch die Stadt Teterow und enterten die Mecklenburgische Schweiz, die den durchaus wurstförmigen Malchiner See vor sich her nach Süden schiebt. Eine Schweiz, seit je die Mutter aller Würste, würde uns nicht hungrig ziehen lassen – das wußten wir. Neulich wollte eine Schweizer Umfrage von Schweizern wissen, was ein Schweizer nach einem langen Auslandsaufenthalt am liebsten auf seinem Schweizer Teller vorfände. Und hatten da die Schweizer nicht mit großer Mehrheit (82 Prozent) geantwortet: „A räächte Wuurscht?“ Freilich hatten die das!

Trotz hängender Mägen lassen wir die Köpfe nicht auch noch hängen, als uns in Teterow prompt kein Grillknilch begegnet. Fahren wir eben weiter. Wenig später gelangen wir in die Molkereimetropole Waren am oberen Ende des Müritzsees. Aber in Waren waren wir wohl die einzigen, die je nach Wurst verlangten. Dem Angebot nach zu urteilen, kann es hier jedenfalls keinerlei Nachfrage geben. Ganz Waren wurstfrei.

Wir, nicht dumm, scheren uns auf die Deutsche Alleenstraße, knattern die Müritz entlang Richtung Röbel. Seltsamerweise ist Röbel immer noch nicht bekannt dafür, daß es über zahlreiche gigantische Superbaumärkte verfügt, mit riesigen Grill- und menschenleeren Parkplätzen davor. Im entwickelten Westen ist für jede solche Freifläche mindestens ein Imbiß zwingend vorgeschrieben. Den Röbeler im blöden Röbel jedoch kratzt das nicht.

Nichts wie weiter ins wilde Vipperow (keine Wurst, keine Elektrizität, kein gar nichts), dortselbst über das letzte südliche Wurstzipfelchen – ach, was sag' ich: Wasserzipfelchen der Müritz hinweg und flugs nach Vietzen. In Vietzen spricht man noch heute von dem silberglänzenden Westwagen, der an der Bushaltestelle eine Runde drehte, langsam auf ein Kioskhäuschen zubrummte, dort kurz verharrte und dann mit quietschenden Reifen das Weite suchte, weil es im Kioskhäuschen nur altes Eis gab und sonst gar nichts.

Mirow und Wesenberg: wurstlose Wege

Die nächste Ortschaft, in der wir unsere Magensäfte verdauen, heißt Mirow. In Mirow sagt einer der Mitreisenden: „Ich sehe Schwarz“, meint damit aber keinen aktiven Holzkohlegrill, sondern nur die nahegelegene Ortschaft Schwarz, die wir mitsamt Mirow weit hinter uns lassen. Wir wenden uns ostwärts und geraten ins Weichbild von Wesenberg, was wir aber nur ansteuern, um zu überprüfen, ob Wesenberg genau so nett ist wie der gleichnamige Wiener Zeichner. Das ist nicht der Fall. Und Wurst gibt es auch keine. Dafür aber direkt südlich die Gemeinde Wurstrow, quatsch: Wustrow!, die aber nichts als ein Wust wurstloser Wege und Wackersteinstraßen ist, so leer und ausgestorben wie die Zwischenräume unserer Darmzotten.

Beleidigt lassen wir das schöne aber übel beleumundete Rheinsberg links liegen, weil es ausschließlich von „Tucholsky! Tucholsky!“ kreischenden Buchhändlerinnen bevölkert wird, die uns aus falsch verstandenem Vegetarismus heraus bestimmt jegliche Wurst vom Brot gezogen hätten.

Zehn Milliarden dämlicher Bäume haben wir mittlerweile auf der Alleenstraße passiert, aber immer noch keinen einzigen Bratfetthändler. Eine nationale Brandenburger Schande!

Wir hetzen via Köpernitz durch die wie zum Hohne sich uns in den Weg stellende und abermals wurstfreie Ruppiner Schweiz, überschreiten mutig den 53. Breitengrad in Richtung Neuruppin und Wurstau, Blödsinn: Wustrau, kacheln durch das tadellos gepflasterte Alt-Ruppin und verspeisen schließlich in der weltberühmten Fontane- und Bratwurststadt Neuruppin eine – nein, nicht eine, sondern die allerallerschlechteste Bratwurst seit Menschengedenken und seit insgesamt 140 Straßenkilometern durch blühende Landschaften ohne Senf und ohne Brötchen. Guten Appetit!

Daher fein aufgemerkt, Brandenburger Kahlschädel! Hört auf mein Kommando: Baseballschläger zu Bratpfannen! Reißt vom Kopf euch die Bürste – und bratet wieder Würste! Oliver Schmitt