■ Die Deutsche Bahn leidet unter einer verunglückten Reform
: Auf halber Strecke steckengeblieben

Am Wochenende und zu Weihnachten gibt es gelegentlich nur noch Stehplätze im Zug. Das soll nicht so bleiben, beschloß der Vorstand der Deutschen Bahn AG. Doch anstatt dem erwiesenen Bedarf nach dem „Produkt Bahnfahrt“ entgegenzukommen und mehr oder längere Züge einzusetzen, überlegt das Bahn- Management, höhere Preise zu verlangen – auf daß bald weniger Leute in die Züge einsteigen und es keine Überfüllung mehr gibt.

Die jüngsten Ankündigungen des Bahn-Vorstands zeigen einmal mehr, daß in der Bahn AG kein unternehmerisches Denken herrscht, sondern die Bahnreform auf halber Strecke steckengeblieben ist. Ausrangierte CDU-Politiker im Vorstand dürfen ihren Phantasien von immer schnelleren Zügen freien Lauf lassen – der Preis für die Kundschaft und das Unternehmen spielt keine Rolle. Milliardenteure Investitionen in den Hochgeschwindigkeitsverkehr zur Ersparnis von wenigen Minuten haben den Schuldenberg der vor vier Jahren schuldenfreien Bahn wieder bedrohlich anwachsen lassen. Und Otto Normalpassagier, der nicht über das üppige Salär eines Bahn-Vorstands verfügt, steigt wieder häufiger ins Auto oder bleibt ganz zu Haus, weil er sich eine Zugfahrt nicht mehr leisten kann.

Doch solche Leute sind den Bahn-Managern ganz offenbar schnuppe – obwohl sie die wichtigsten Kunden ihres Unternehmens sind. Denn weniger als zehn Prozent der Reisenden sind geschäftlich unterwegs und können ihr Ticket anschließend als Spesen abrechnen. Doch vor allem an ihnen orientiert sich die Unternehmenspolitik. Auch die überproportionale Investition in den Fernverkehr bei gleichzeitiger Vernachlässigung des Kurzstreckenbereichs ist betriebswirtschaftlich irrational: Denn 80 bis 90 Prozent der Reisenden nutzen die Nah- und Regionalzüge. Doch während es demnächst gemeinsame Tickets für eine kombinierte Bahn-Flugzeug-Reise geben wird, sind derlei Fahrscheine für eine Fahrt mit Zug und U-Bahn nicht avisiert. Eindeutig ist: Wenn die Bahn AG auf dieser Schiene weiterfährt, muß sie in ein paar Jahren zum Konkursrichter – es sei denn, dem Steuerzahler werden weitere Schuldenberge zugemutet.

Doch der Zugverkehr in Deutschland krankt nicht nur an einem unfähigen Management der DB AG, sondern mindestens ebenso an einem Konstruktionsfehler der Bahnreform. Die Gleise wurden der DB AG mit dem Auftrag übergeben, sie betriebswirtschaftlich rentabel zu betreiben. Die Folge diese Regelung ist aus zwei Gründen fatal: Zum einen muß der für das Netz zuständige Unternehmensteil der Bahn AG hohe Gebühren für die Nutzung der Trassen kassieren, damit er die Schienen finanzieren kann. Das ist in keinem anderen Land Europas so. Und das ist einer der wesentlichen Gründe, warum die Bahn hierzulande in den vergangenen Jahren immer mehr Marktanteile an den Straßenverkehr verloren hat. Lkw und Bus haben einen enormen Wettbewerbsvorteil, weil sie die Asphaltpisten kostenlos nutzen können, während die Bahn für jeden gefahrenen Kilometer zahlen muß.

Zum zweiten verhindert diese Konstruktion aber auch, daß sich auf den Schienen ein Markt mit zahlreichen Konkurrenten bildet, die um die Gunst der Kunden buhlen und damit das Angebot verbessern. Indem die DB AG die Mengenrabatte so gestaltet, daß kleinere Bahngesellschaften weitaus höhere Gebühren bezahlen müssen als sie selbst, verteidigt sie mit Ausnahme von einigen Regionalstrecken erfolgreich ihr De-facto-Monopol. Das ist aus unternehmerischer Sicht durchaus sinnvoll. Für die Verkehrspolitik aber ist es ein großer Fehler.

Der muß korrigiert werden – und zwar von der Politik. Erst wenn eine neutrale Stelle die Trassen vergibt, bekommt die Bahn AG endlich Konkurrenz und damit Druck, die Interessen ihrer Kunden ernst zu nehmen. Wie es funktionieren kann, läßt sich an der Telekommunikation studieren: Die Regulierungsbehörde hat bereits mehrfach die überhöhten Nutzungspreise der Telekom zurückgestutzt. Die Kundschaft freut sich über sinkende Preise – und telefoniert mehr als je zuvor. Annette Jensen