„So etwas nennt man gemeinhin Massengrab“

■ Fürst Vadim Olegowitsch Lopuchin, Vize-Marschall des Russischen Adelskonvents, schmerzt die „würdelose“ Veranstaltung in St. Petersburg: „Das ist eine Posse, ich schäme mich für unser Land“

Fürst Vadim Olegowitsch Lopuchin (43), im bürgerlichen Leben Chefarzt einer Moskauer Geburtshilfeklinik, ist Vize-Marschall des Russischen Adelskonvents. Diesem Club gehören etwa 6.500 Menschen an. Die Organisation will die Traditionen der Adelsschicht wiederbeleben. Lopuchin ist Vater zweier Fürstentöchter und begleitet die Mitglieder der Romanow-Dynastie bei ihren Rußland-Besuchen. Das Gespräch mit Lopuchin fand unmittelbar vor den Petersburger Feierlichkeiten in Moskau statt.

taz: Weshalb nehmen die Großfürstinnen Leonida Georgiewna und Marija nicht an den Bestattungsfeierlichkeiten teil?

Lopuchin: Die Frage nach der Identität der menschlichen Überreste ist nicht geklärt. Also kann man die Bestattung nur als provisorische betrachten.

Und die Mitglieder des Hauses Romanow, die trotzdem kommen?

Das sind keine Mitglieder des Hauses Romanow. Juristisch betrachtet hat das Haus nur fünf Mitglieder: Leonida Georgiewna, ihre Tochter Marija und Georgi, dazu zwei ihrer nächsten weiblichen Angehörigen. Alle übrigen mögen zwar auch Verwandte sein, aber der Begriff „Mitglied der Dynastie“ wurde bei den Romanows durch mehrere Erlasse über Jahrhunderte eingeengt.

Wenn der Tenno oder die britische Königin stürben, dürften also von den Romanows nur die großen „Fünf“ zur Beerdigung kommen?

Kommen könnte jeder. Als Mitglieder der Dynastie figurierten jedoch nur diese fünf.

Und die sind eingeladen?

Nein. Als Begründung sagte man mir: „In Rußland ruft man die Leute nicht zur Beerdigung, sie kommen von selbst.“ Meiner Ansicht nach trifft das zu, wenn dein Nachbar vor drei Tagen gestorben ist. Wenn aber der Imperator vor 80 Jahren von der damals herrschenden Staatsmacht brutal ermordet wurde, dann „ruft“ man nicht nur zu seiner Bestattung, sondern man lädt offiziell dazu ein.

Hätte nicht Großfürstin Leonida Georgiewna Entgegenkommen zeigen können?

Warum? Um dieser Posse den Anschein der Legitimität zu verleihen? Die Ehren, die diesem Sarg bezeigt werden, entsprechen nach russischem Protokoll einem auf dem Schlachtfeld gefallenen Obersten. Was war das für ein Schlachtfeld, dieser Keller, in dem Eltern und Kinder erschossen wurden? Und von den beiden Titeln, Oberst und Imperator, die Nikolaus II. gleichzeitig trug, welcher war denn der wichtigere?

Haben Sie sonstige Einwände?

Zum Beispiel die Stelle in der Festungskathedrale, an der man Nikolaus II. und seine Familie bestattet. Nicht etwa neben den Grabmälern der anderen großen Zaren, sondern in einem Nebengemach. Es diente früher als Wirtschaftsraum. Dort gräbt man ihnen eine gerademal zwei Meter lange Grube und schichtet sie in drei Etagen übereinander auf ein Eisenregal. In der Umgangssprache bezeichnet man so etwas gemeinhin als „Massengrab“.

Harte Worte.

Keineswegs. Von oben soll das ganze mit einem Holzfurnier zugedeckt werden, nicht mit einer Stein- oder gar Marmorplatte. In den Inschriften auf der Grabplatte haben wir heute schon acht Fehler entdeckt. Sogar die Reihenfolge der Vornamen der Zarin hat man verwechselt. Mich schmerzt das. Ich schäme mich für unser Land. Offenbar können wir nicht einmal jemanden ordentlich unter die Erde bringen. Wahrscheinlich müßte man an die Kreml-Mauer die historischen Worte unseres Expremiers Viktor Tschernomyrdin schreiben: „Wir wollten es besser machen. Aber was dabei herauskam, war wie immer.“