Grüne bieten Osten Hilfe zur Selbsthilfe

Bei ihrem Wahlkampfauftakt im Osten setzen sie Bündnisgrünen auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Förderung des Mittelstandes. Eine Abgabe auf Millionenvermögen soll die Gegenfinanzierung sichern  ■ Aus Weimar Dieter Rulff

Kurz vor Beginn des Wahlkampfauftakts der Bündnisgrünen im Osten taxierte die Bundesgeschäftsführerin Heide Rühle die Chancen, erneut in den Bundestag einzuziehen, auf „fifty-fifty“.

Da stellte sich natürlich die Frage, wie denn die entsprechende Quote für die ostdeutschen Bundesländer aussieht. Es spricht für das mittlerweile erreichte Maß an Krisenerprobtheit der Bündnisgrünen, daß sich bei der Auftaktveranstaltung in Weimar am Wochenende keiner öffentlich zu einer Kritik der Bundesgeschäftsführerin hinreißen ließ, obwohl in den Fluren der Unmut über deren unbedachte Äußerung zu hören war. Aus Mitleid, so der allgemeine Groll, werde man nicht gewählt. Die Ostbeauftragte der Bundestagsfraktion, Marianne Birthler, einst Bildungsministerin in Brandenburg, schätzte die Chancen ihrer Partei in den neuen Ländern denn auch wesentlich besser ein. So könne die Partei in Sachsen und Thüringen durchaus den Sprung über die Fünfprozenthürde schaffen.

Ähnlich optimistisch äußerten sich auch andere Politiker aus den ostdeutschen Landesverbänden. Sie fühlten sich bestätigt durch eine Studie, die den Bündnisgrünen in Thüringen eine Wählerschaft von 5,8 Prozent zusprach. Allerdings wurde diese Erhebung von der – parteinahen – Heinrich- Böll-Stiftung in Auftrag gegeben.

Aussagekräftiger war da schon die Erkenntnis des mecklenburg- vorpommerschen Landesvorstandssprechers Klaus-Dieter Feige, daß bei Umfragen mittlerweile die Landes- über den Bundesergebnissen liegen. Die Bündnisgrünen werden demnach nicht mehr vorrangig wegen der Ausstrahlung ihrer Bonner Größen, sondern wegen ihrer landes- und kommunalpolitischen Kompetenz gewählt.

Aus solchen Ergebnissen zieht man Selbstbewußtsein und die Erkenntnis, daß Fragen der Region und der Mentalität eine zentrale Rolle spielen. Deshalb, so meint Feige, sei es auch nicht schlimm, wenn die Ostgrünen im Wahlkampf andere Wege gehen als die Bundespartei.

Der andere Weg ist festgeschrieben in einem vierzehnseitigen „Konzept für den Aufbau Ost“, das von 120 ostdeutschen Bündnisgrünen verabschiedet wurde. Obgleich Feige das Papier nur als „Ergänzung“ zum Bundesprogramm verstanden wissen wollte, trägt es doch eine andere Handschrift. Tempo 100 auf Autobahnen, von Joschka Fischer noch vor wenigen Tagen zur „Existenzfrage“ für die Bündnisgrünen erhoben, war kein Thema. Statt dessen stand die Bereitstellung von Existenzgründerdahrlehen im Vordergrund. Strittig war dabei allenfalls, ob nicht der Stabilisierung der Eigenkapitalbasis eine noch größere Bedeutung zukomme. Auch Castor-Transporte hatten, wie die Bundestagsabgeordnete Franziska Eichstätt-Bohlig befand, keinen Stellenwert. Ein „mittelstandsorientierter Politikansatz“, der statt auf das Kapital von Großinvestoren auf die Kraft kleiner Unternehmen und die Vernetzung von Strukturen setzt.

Bei den Zukunftstechnologien sollten die ostdeutschen Firmen vorrangig gefördert werden. Den Solidaritätsbeitrag von 5,5 Prozent wollen die Grünen beibehalten, zugleich aber eine 2,5 prozentige Abgabe für Vermögen über zwei Millionen Mark durchsetzen. Für die Wähler, so Feiges Einschätzung, seien ohnehin „die Tagesfragen“ entscheidend. Hilfe zur Selbsthilfe nennt Eichstätt-Bohlig denn auch den spezifisch ostdeutschen Politikansatz, der den Bündnisgrünen einen eigenen Platz sichern soll zwischen den blühenden Landschaften, mit denen die CDU werbe, und der Schwarzmalerei, mit der die PDS Stimmen fange. Pragmatik ist gefragt, und da quittiert man denn auch mit glucksendem Gelächter, wenn der bündnisgrüne Oberbürgermeister von Hohenstein-Ernstthal seine angekündigte Rede nicht halten kann, weil er statt dessen die traditionelle Sachsenring- Autorennbahn einweihen will.