Was steigt, was fällt, was kaufen wir?

Der Umgang mit Geld und Risiken kann Spaß machen – und ertragreich sein. Um ihre Erfahrungen am Aktienmarkt gemeinsam zu machen, haben sich in Bonn zwanzig Frauen im Club „Penuntia“ zusammengeschlossen  ■ Von Daniela Weingärtner

Stehkonferenz im Garten einer Bonner Finanzberaterin. Christa Stemmler, Vorsitzende des Investmentclubs „Penuntia“ trommelt ihre Schäfchen zusammen. Hastig suchen die Damen ein Plätzchen, um ihren „Sekt Orange“ abzustellen. Nach sechs Monaten und ebenso vielen turbulenten Sitzungen läßt sich keine mehr vom zarten Stimmchen und dem Happy- Omi-Outfit der Chefin täuschen. „Wer ist also dafür, daß wir Teles zeichnen?“ Zehn Hände fliegen nach oben. Christa Stemmler nickt befriedigt, alle schlendern zurück zu ihren Gläsern. Die Damen vom Konkurrenzclub „Pecunia“, der heute gemeinsam mit „Penuntia“ Sommerfest feiert, beobachten das Geschehen vorgeblich gelassen. Nur an unterbrochenen Gesprächen, an verstohlenen Blicken ist zu merken, daß sie sich kein Körnchen Information entgehen lassen. Teles also, ein Papier aus dem „Neuen Markt“, der als hochgradig riskant gilt. Die Pecunia-Damen sind mehr fürs Solide, sie investieren langfristig und in DAX- Werte.

Auch bei „Penuntia“ war die Teles-Transaktion beim letzten Monatstreffen noch umstritten. Da drehte sich noch alles um Jen-Optik. Auch dieses Unternehmen ging neu an die Börse, Lothar Späths Aura verlieh der Aktie aber den Ruf Daimlerscher Solidität. „Zweihundert mußte man mindestens zeichnen. Ich habe mir erlaubt, mit zweihundertzwanzig einzusteigen“, verkündete Christa Stemmler damals mit leicht fragendem Unterton. Einstimmiges Nicken antwortete ihr.

Als sie aber wissen wollte, welches Papier abzustoßen sei, falls sie zu den glücklichen Gewinnern der Jen-Optik-Verlosung gehören würden, brach ein Sturm los. „Ich finde die Bayer-Aktien ziemlich langweilig“, erklärte eine sehr solide aussehende ältere Dame. Christa Stemmler widersprach: „Ich würde sagen, dann verkaufen wir lieber unsere SAP.“ Ein Aufschrei antwortete ihr. „Die ziehen doch weiter an! Da hätten wir gleich mehr von nehmen sollen!“

Dann redeten alle fünfzehn anwesenden Penuntianerinnen durcheinander: „Wir können nicht alles behalten, wir müssen auch mal was verkaufen.“ „Ich denke immer, wenn ich was verkaufe, sollte ich 'ne Alternative haben.“ „Stahl – das ist auch eine sehr schöne Anschaffung, mit den Zusammenschlüssen und dem Transrapid. Thyssen liegt jetzt bei Vierhundert.“ „Nun wollen wir uns mal wieder nett wie brave Mädchen hier melden ...“, sagte die Vorsitzende schließlich. Und das taten die braven Mädchen auch. Fünfzehn Damen – von der BWL-Studentin bis zur zweifachen Großmutter – beteiligten sich diszipliniert an Christa Stemmlers Abstimmungsmarathon: Falls Jen- Optik, dann weg mit Bayer, falls Bayer zu niedrig bewertet, dann lieber weg mit SAP ...

„Man hat eine Affinität für manche Werte“

Disziplin und Wissensdurst hält Thomas Köble, Anlageberater bei Penuntias Bonner Hausbank, für wesentliche Eigenschaften seiner weiblichen Kundschaft. Männer seien risikofreudiger – sie stellen 90 Prozent der Anleger an Terminbörsen –, vertrauten Tips aus Fernsehen und Internet und hörten weniger gern den Rat bedächtiger Experten. Frauen dagegen seien „generell vernünftiger“, berücksichtigten neben Fernsehtips auch Informationen aus Fachblättern und dem Wirtschaftsteil der Zeitung. Die Mitstreiterinnen von Penuntia sind dafür ein Musterbeispiel. Sie informieren sich nicht nur bei n-tv und 3Sat, sie lesen auch Börse-Online und Handelsblatt. Jede hat sich auf eine Unternehmensgruppe spezialisiert und berichtet am Sitzungsabend über die Entwicklung ihrer Branche im vergangenen Monat. Je zwei Damen kümmern sich um ein Papier aus dem Club- Portfolio und notieren den Kursverlauf.

Die Begeisterung mancher Penuntianerinnen für den Neuen Markt teilt Thomas Köble nicht. Ihm sitzt das MobilCOM-Desaster noch in den Knochen: „Die 3Sat- Börse brachte den ,Geheimtip‘. Viele Anleger sind unlimitiert rein. Wenn der Kunde auf sowas besteht, dann ist man machtlos, dann wünscht man viel Glück.“ Zwei Tage später war die Fernsehsendung vergessen. Der Kurs brach zusammen. Viele verloren viel Geld. Nach Köbles Erfahrung beruht der Mythos „Neuer Markt“ darauf, daß die Anleger ihre Traumgewinne ausposaunen, ihre Verluste dagegen schamhaft verschweigen. „Ich habe noch keinen erlebt, der sich am Neuen Markt ein Reihenhaus verdient hat.“

Die Penuntia-Damen haben bislang Glück gehabt. Ihr Portfolio ist in den sechs Monaten, die das Depot besteht, ständig im Wert gestiegen. Sicher hat die Kursentwicklung dazu beigetragen. Aber auch die Mischung aus „konservativen“ DAX-Werten und Neu- Emissionen scheint zu stimmen.

Jede der dreiundzwanzig Clubmitglieder ist mit tausend Mark Einsatz eingestiegen und zahlt jetzt monatlich hundert Mark Beitrag. Ob diese Summe als Spielgeld, als Lehrgeld oder als Teil der Alterssicherung betrachtet wird, hängt vom Einkommen und von der Mentalität jeder einzelnen ab. Immer wieder kommt die Frage auf, wo es in Zukunft langgehen soll: Soll der Schwerpunkt auf Basiswerten liegen, nur wenig Spielgeld bleiben für riskantere Transaktionen? Oder soll das ganze Geld dazu verwendet werden, spielerisch aus Fehlern zu lernen und dann auf dieser Wissensgrundlage das eigene Depot zu organisieren?

Daß die Gruppe sich bisher nicht zu einer Linie durchringen konnte, liegt daran, daß die Frauen verschiedene Gründe hatten, sich als Neulinge mit Aktien zu befassen. Die Initialzündung allerdings führen fast alle irgendwie auf Manfred Krug zurück.

Knapp hundert Millionen Mark gab die Telekom vor dem Börsengang im November 96 für ihre Kampagne mit „Liebling Kreuzberg“ aus. Neueinsteiger und Kleinanleger wurden mit Rabatten gelockt, langer Atem sollte mit Treueaktien belohnt werden. Deutsche-Bank-Vorstand Rolf- Ernst Breuer sah damals „die letzte Hoffnung“, in Deutschland eine Aktienkultur zu schaffen. Knapp zwei Jahre später läßt sich sagen, daß die Telekom-Strategie aufgegangen ist. Umfragen belegen, daß sich die Bundesbürger weit mehr für Aktien interessieren als vor der Telekom-Kampagne. Die Zahl der Aktienbesitzer stieg in Westdeutschland von 4,5 auf 5,6 Millionen, in den neuen Ländern von 0,3 auf 0,43 Millionen. Meinungsforscher sprechen von einer „Klimaveränderung“ zugunsten der Aktie.

Auch Thomas Köble sieht einen Zusammenhang zwischen dem Börsengang der Telekom und der neuen deutschen Börsenbegeisterung. Die Ursachen liegen aber nach seiner Beobachtung tiefer: In niedrigen Zinsen, hohen Erbschaften, gestiegener Risikobereitschaft gerade bei jungen Berufstätigen und in einer gewandelten Rolle der Medien.

Auf dem Sommerfest von Penuntia und Pecunia lassen sich für diese vier Faktoren leicht Beispiele finden. Christiane Slach hat Betriebswirtschaft studiert und verdient jetzt ihr erstes Geld bei einer Genossenschaft. Die schlanke junge Frau mit der schmalen Goldbrille glüht vor Begeisterung, wenn sie über ihr „Portfolio“ spricht. „Man hat eine Affinität für manche Werte. Nicht weil die unheimlich schön laufen, sondern weil man die mag. Die Deutsche Bank zum Beispiel find' ich schrecklich, aber den Wert verfolg' ich unheimlich gern. Auch Mercedes ... Mir wird immer schlecht in dem Ding, aber als Wert ist das unheimlich interessant ...“

„Cash machen, wenn man da nix für tun muß“

Mit dem Geld ihrer Mutter ist Christiane eingestiegen, zunächst bei Telekom – wie fast alle anderen auch. Die Mutter fand das „super positiv“, bejahte das Risiko. Der Vater dagegen war ablehnend, „der hat seine Bundesschätze“. Christiane weiß selbst, daß sie anfällig ist fürs Börsenfieber. „Cash machen, wenn man da nix für tun muß – man gewinnt den Eindruck, blöde zu sein, wenn man das nicht mitnimmt.“

Zu Anfang saß sie jeden Abend vor n-tv. Inzwischen hält sie Telebörse für gefährlich. „Die heizen die Stimmung an, nehmen die Gefahren nicht ernst.“ Durch Penuntia ist sie sicherer geworden, investiert mutiger, fühlt sich besser informiert. Aber die Adrenalin- Schwankungen sind geblieben: „Wenn meine Werte fallen, nehme ich das persönlich. Ich muß mich da jetzt ein bißchen zurücknehmen, sonst werde ich noch total verkrampft.“

Diese Gefahr scheint bei Andrea York nicht zu bestehen. Geld fand sie immer langweilig und hatte auch keine Ahnung davon. Aber seit sie selbst verdient, zwingt sie sich dazu, sich mit dem Thema zu befassen. „In der heutigen Geldzeit“ müsse man damit umgehen lernen. Andrea will ihre Alterssicherung planen, ohne sich auf das Urteil anderer Leute verlassen zu müssen.

„Wir wollen das nicht 'nem Banker überlassen, der die Hände überm Kopf zusammenschlägt: Jetzt kommt 'ne Frau!“, sagt auch die 52jährige Helga, die ihren Nachnamen nicht gedruckt sehen möchte. Zunächst hat sie das geerbte Depot mit einem Banker zusammen verwaltet. „Das war mir zu passiv.“ Auch bei ihr begann das Umdenken mit der Telekom, „da kam zum ersten Mal Grundwissen ins Haus“. Jetzt guckt sie beim Kartoffelschälen n-tv und entdeckt neue Seiten an ihrem Lebenspartner: „Er ist eifersüchtig auf meine Aktivität in punkto Geldgeschäfte.“

Ähnliches haben andere Penuntia- Frauen auch erlebt. Sie räumen aber ein, daß ihre neue Leidenschaft für Mitbewohner gewöhnungsbedürftig ist. Christa Stemmler, 59: „Wenn ich abends nach Hause komme, dann geht das ,Tach-wie-geht's‘ und ,zong!‘ den Knopf. Inzwischen hat aber mein Partner, wenn ich mal später dran bin, schon den Kurs notiert.“

Für die älteren Clubmitglieder bedeutet Penuntia Altersvorsorge in zweierlei Hinsicht. Sie wollen nicht in die Falle Altersarmut tappen, die sich für viele Frauen jenseits der Pensionsgrenze auftut. Sie wollen aber auch geistig fit bleiben. Christa Stemmler: „Ich will mich mit vielen Dingen beschäftigen, die mich im Alter daran hindern können, einsam und verbittert zu werden.“

Die anderen nicken. Der Satz fällt bei einem Ausflug nach Düsseldorf, nach einer Besichtigung der Rheinisch-Westfälischen Börse. „Und jetzt“, sagt Christa unternehmungslustig und hakt sich bei Helga unter, „jetzt verjuxen wir unsern Kursgewinn auf der Kö!“ Ein junger Banker stutzt im Vorbeigehen, blickt die Damen prüfend an und bricht dann in Gelächter aus. Einsam und verbittert wirken die Bonner Zockerinnen wirklich nicht.