"Der Westen reagiert zu spät"

■ Der ehemalige EU-Administrator in Mostar, Hans Koschnick, über die Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf den Kosovo-Konflikt und die Notwendigkeit einer Reform des UN-Sicherheitsrates

taz: Die internationale Gemeinschaft scheint wie in Bosnien-Herzegowina auch im Kosovo nicht in der Lage zu sein, adäquat zu reagieren. Warum sind die internationalen Institutionen so handlungsunfähig?

Hans Koschnick: Ich glaube nicht, daß die internationalen Institutionen prinzipiell unfähig sind zu reagieren, aber sie werden wieder einmal zu spät reagieren. Das liegt daran, daß es für den überwiegenden Teil der beteiligten Staaten kein vitales Eigeninteresse in bezug auf den Kosovo-Konflikt gibt. Das ist kein böser Wille, aber die Risiken, die meist mit einem Engagement verbunden sind, werden gescheut, weil sie scheinbar nicht den eigenen Interessen entsprechen. In Bosnien hat man gesehen, daß erst gehandelt wurde, als der Brand die eigene Haustür erreichte.

Ist nicht auch entscheidend, daß es nationale Eigeninteressen in Europa gibt, die Milošević auszuspielen weiß?

Darin ist Milošević sicher ein Meister. Das Nato- und EU-Land Griechenland geht seine eigenen Wege, wenn seine Luftwaffe an einer Luftschau der jugoslawischen Luftwaffe teilnimmt. Andererseits haben Deutschland, Italien und Österreich Angst vor neuen Flüchtlingen und haben daher ein Eigeninteresse an der Befriedung der Situation. Die Gründe für die Aktionsunfähigkeit liegen aber tiefer. Es gibt unterschiedliche Meinungen über den Einsatz der Nato. Der aus der Erfahrung des bosnischen Krieges erfolgte Ruf nach dem sofortigen Einsatz der Nato verstößt gegen unterschriebene und gültige Verträge. Die Nato ist eine Verteidigungsorganisation für ihre Mitglieder. Sie kann nur dann eigenständig aktiv werden, wenn Mitgliedsländer angegriffen werden. Bei anderen Konflikten braucht sie den Auftrag der Vereinten Nationen, genauer des Weltsicherheitsrates. Wäre dem nicht so, könnten die Stärkeren immer definieren, was für die Weltgemeinschaft gut ist. Der Weltsicherheitsrat sollte eigentlich versuchen, die Konflikte zu verhindern und einzudämmen. Aber wenn die fünf Mächte des Weltsicherheitsrats nicht in der Lage sind, Entscheidungen zu fällen, dann geht das nicht mehr. Wir beobachten zudem eine stärkere Renationalisierung der Außenpolitik auch im europäischen Kontext. Die USA ziehen sich zurück, Rußland blockiert. Statt der Reform gibt es einen Machtverlust der UNO.

Wie beurteilen Sie die Rolle Rußlands?

Eigentlich müßte Rußland ein vitales Interesse haben, angesichts der eigenen Finanznot in der Weltgemeinschaft eine positive Rolle zu spielen. Es wäre ein ganz normales diplomatisches Geschäft, wenn im Gegenzug für Finanzhilfen Kooperationsbereitschaft in bezug auf Kosovo eingefordert würde. Dies ist aber ausgeblieben. Vielleicht auch aus dem Grund, daß manche Banken bei einem Konflikt wohl um die Rückzahlung der Kredite fürchten. Deshalb wurde das Tschetschenien-Problem auch ausgeklammert.

Die bedrängten Menschen fragen nicht nach diesen Dingen, es muß gehandelt werden. Wie kann die Blockade der internationalen Intitutionen überwunden werden?

Nur wenn es uns gelingt, die Vereinten Nationen zu reformieren, könnte es zu schnelleren Entscheidungen kommen. Es muß verhindert werden, daß die nationalen Interessen eines Staates die Aktionsfähigkeit in solchen Konflikten blockiert.

Das kann aber dauern ...

Sicherlich. Die vitale Verletzung von Menschenrechten darf aber nicht hingenommen werden. Dies gilt übrigens nicht nur für die Albaner, sondern auch für die serbische Minderheit in Kosovo. Jetzt wirkt sich negativ aus, daß jene Staaten der Weltgemeinschaft, die beim Vertrag von Dayton mitgewirkt haben, in der Vergangenheit versäumt haben, auf das Kosovo- Problem einzuwirken. Daß jetzt die Menschen aus Verzweiflung zu den Waffen greifen, ist eines der großen Versäumnisse. Der friedliche Weg der Kosovo-Albaner wurde nicht honoriert.

Was soll man denn nun den Menschen im Kosovo sagen? Wie wird sich die internationale Gemeinschaft verhalten?

Ich hoffe immer noch, daß die Europäer und die USA in der Lage sind, die Russen davon zu überzeugen, einem massiven Einsatz der Blauhelme zuzustimmen, der die serbischen wie auch die kosovo-albanischen Streitkräfte trennt und dann einen Prozeß für eine politische Lösung einleitet. Wenn die internationale Gemeinschaft nicht dazu in der Lage ist, schnell in den Kosovo hineinzugehen, sehe ich schwarz. Dann werden alle Menschen im Kosovo schrecklich leiden. Interview: Erich Rathfelder