Pat und Patachon in der Staatsoper

■ Herbst beim Ballett: Das AIDS-Drama Alive And Kicking – Jetzt erst recht von Nancy Meckler kommt ins Metropolis

Normalerweise würde ein Beau wie Tonio nicht für fünf Pfennig Interesse an einem Mann wie dem reichlich gedrungenen Jack zeigen. In seinem Ballett-Ensemble ist der schwule Rotschopf (immer im Takt: der blendend aussehende Jason Flemyng) nämlich die Primadonna – und so benimmt er sich auch. Mal verteilt der Boygroup-Bursche Küßchen an seine Lieben, nur um sie Sekunden später zimtzickenmäßig im Regen stehen zu lassen.

In einem Zwischenreich aus Flashdance und Staatsoper hegt und pflegt die gänzlich gleichgeschlechtlich liebende Tänzerschar ihre kleinen Marotten wie Wochenendgärtner ihre Gartenzwerge. Und wahrlich: In solch einer Arty-farty-Welt wäre ein Holzfäller-Typ wie Jack (supernett: Antony Sher) fehl am Platz. Doch natürlich ist die daherzwitschernde Liebeskomödie Alive & Kicking – Jetzt erst recht, die der britischen Regisseurin Nancy Meckler 1996 den Publikumspreis des London-Filmfestivals einbrachte, mehr als eine bloße Aneinanderreihung trutschiger Eitelkeiten.

Von Anfang an macht der Film klar, daß Tonio, dieser scheinbar unbezwingbare Adonis in Strumpfhosen, schon viele Freunde hat sterben sehen. An AIDS. Zuletzt hat es seinen Meister und Mentor Ramon erwischt. Und auch Tonio ist HIV-positiv, und somit scheint alles nur eine Frage der Zeit, bis auch er dran ist. Tonio und seine Tänzerinnen beschließen in dieser Phase des direkten Kontakts mit der eigenen Vergänglichkeit, noch einmal eine große Inszenierung, den Indian Summer, zu wagen.

Ausgerechnet in dieser Zeit des letzten Aufbäumens trifft Nachtschwärmer Tonio auf Jack. Zusammen sehen die beiden aus wie Pat und Patachon. Tonio, der athletische Schöngeist, und daneben Jack, ein älterer Halbglatzenträger, der zum Übergewicht neigt. Was anfangs wie ein verzweifelter One-Night-Stand wirkt, entwickelt sich langsam zu einer leichtfüßigen Geschichte der berühmten Gegensätze, die sich anziehen. Beide drohen an der Unumgänglichkeit von AIDS zu scheitern. Tonio, weil er infiziert ist, und Jack, weil er als unterbezahlter, beamteter Therapeut im Gesundheitswesen das Maß seiner Betreuung dem Behördenbudget anpassen muß. Wie soll sich in einer solch verfahrenen Situation bloß so etwas wie die wahre Liebe entwickeln?

Wahrscheinlich hätten sich die beiden auch nach ein paar Quickies wieder voneinander getrennt, wenn nicht ein erster Ausbruch des Virus bei Tonio drohte, sämtliche Ballett-Pläne über den Haufen zu werfen. In einer choreografischen wie dramatischen Kraftanstrengung erlangt das gegensätzliche Paar die Gewißheit, die Ungewißheit ihrer Zukunft gemeinsam erleben zu wollen.

Nancy Mecklers Alive & Kicking – Jetzt erst recht wird sicherlich nicht als Wundermittel gegen AIDS in die Medizingeschichte eingehen, wohl aber als süßliche Filmromanze zwischen einem Tänzer und seinem Therapeuten. Nimmt ein bißchen den Schmerz.

Oliver Rohlf

Do, 23. Juli, 21.15 Uhr; Fr, 24. Juli, 19 Uhr; So, 26. Juli, 17 Uhr; Mo, 27. Juli, 21.15 Uhr; Di, 28. Juli, 17 Uhr; Mi, 29. Juli, 19 Uhr, Metropolis