Film im Film im Film

Wer aus der Referenzhölle will, muß durch sie hindurch: Das dreifach kodierte Kino-Abenteuer Irma Vep  ■ Von Tobias Nagl

Ein Film mit Lieblingsschauspielern. Wenn er gut ist, sprechen seine Darsteller Bände. Die erzählen dann im Kino nicht nur Geschichten, sondern auch mindestens eine Geschichte des Kinos. Wenn so ein Film sehr gut ist, dann erzählt er viele Geschichten von vielen Kinos. Irma Vep der französischen Regiehoffnung Olivier Assayas ist so ein Film: Er begibt sich mutig in die postmoderne Referenzhölle, ohne sich sein kultisches Filmwissen zum Trutzwall gegen die Kritik am eigenen Epigonentum zu machen.

Irma Vep ist dazu ein Film über das Filmemachen – eigentlich jedoch: ein Film über Filme über das Filmemachen, denn auch diese Art cineastischer Selbstreflexivität ist ja alles andere als eine sichere Bank und seit Vincente Minnellis The Bad and the Beautiful oder Jean-Luc Godards Le Mépris zum eigenen Genre ausgewachsen, dessen Elemente zuletzt Living in Oblivion noch einmal selbstbewußt zur Schau stellte. Irma Vep setzt da noch eins drauf, denn der Film, der da gedreht wird, ist ausgerechnet ein Remake. Und auch seine Schauspieler sind nicht irgendwer.

Da ist zum Beispiel Jean-Pierre Léaud, als Antoine Doinel in Sie küßten und sie schlugen ihn Identifikationsfigur No. 1 jugendlicher Cineasten und in den 60ern Francois Truffauts Lieblingsschauspieler. In dessen Amerikanische Nacht, einem von diesen Filmen über das Filmemachen, an den sich Irma Vep nicht nur einmal – ähm – „anlehnt“, spielt Léaud einen liebeskranken Schauspieler. Nachdem er durch einen One-Night-Stand mit dem amerikanischen Star den Film fast ruiniert hat, will er im Fernen Osten mit einer asiatischen Schauspielerin einen Film drehen. In Irma Vep kommt es endlich dazu. Gut 25 Jahre später ist Léaud der Regisseur René Vidal, und er plant ein Remake des Stummfilm-Serials Les Vampires vom Kino-Pionier Louis Feuillade. Zwischen Geheimtüren, Hypnose-Tricks, Automobiljagden und haarsträubenden Erzähl-Volten erstand darin die emanzipierte „Neue Frau“ der Moderne mit dem Antlitz der Erzschurkin „Irma Vep“ (ein Anagramm von Vampir), die damals von der großen Musidora dargestellt wurde.

Nirgendwo sind Frauen den proto-feministischen Heroinen des frühen „Kinos der Attraktionen“ näher als in den Actionfilmen aus Hongkong: Mit derselben Eleganz und Brutalität treten sie dort, an Drahtseilen durch die Luft fliegend, zu wie ihre männlichen Gegenspieler. Erst kürzlich war das wieder im Schlock-Spektakel Heroic Trio zu bewundern. Assayas ist ein ausgewiesener Connaisseur der Materie, hat schon Anfang der 80er bei den Cahiers ein „Made in Hongkong“-Heft ediert, und so läßt er sein alter ego Vidal eben diesen Film sehen, bevor er die nicht minder große Diva Maggie Cheung in ein Latexkostüm steckt und für die Rolle der Irma Vep castet. Die ehemalige Miss Hongkong drehte aber nicht nur dutzendweise solche Actionware von der Stange, sondern genauso Melodramen mit dortigen Auteurs wie Wong Kar-Wai oder Stanley Kwan. So paßt sie sich – sich selbst als einen der größten Stars Asiens spielend – nicht nur wundervoll in diesen kleinen, improvisierten Autoren-Film ein, sondern ist inzwischen sogar mit Assayas verheiratet. Wem jetzt schon schwindelig ist, dem wird die ungeheuer flüssige Kamera – mit Direct Cinema-Attitude von close-up zu close-up springend – vollends den sicheren Stand nehmen.

Am Set in Paris angekommen, geht dann allerdings alles schief, während die das Filmemachen begleitenden Neurosen fröhliche Urständ feiern. Der alternde Vidal beginnt an seinem häretischen Projekt zu zweifeln und zehrt allenfalls von seinem Ruf als einst militanter Filmemacher. Die Crew zerstreitet sich, währenddessen verliebt sich die bisexuelle Zoé in Maggie, und am Ende ist die gefeuert und unterwegs zu Ridley Scott. Dazwischen treten in urkomischen Szenen selbstverliebte Filmjournalisten auf und belästigen Maggie Cheung mit schnöselhaften Ausführungen zu John Woo.

Das alles reflektiert nicht nur charmant das französische Kino oder transkulturelle Übersetzungsfallen, sondern ist auch wirklich spannend. Und wenn die schöne Cheung „in echt“ vor dem Pariser Neonlicht über die verregneten Dächer huscht, ist das nicht nur eine große Hommage an Feuillade und Hongkong, sondern auch an die Faszinationskraft, die das Kino angesichts seiner überwältigenden Geschichte noch haben kann.

Do, 23. bis Mi, 29. Juli, 20.30 Uhr, 3001-Kino