Stimmungsvolles aus der Catfish Row

■ Das New York Harlem Theatre überbrückt die Sommerpause des Bremer Theaters in den nächsten vier Wochen mit einer realistisch-kräftigen dreistündigen Inszenierung von George Gershwins Opernklassiker „Porgy and Bess“

Daß jede Kulturinstitution gut daran tut, sich auch in anderen Köpfen festzusetzen als immer nur in der eigenen Klientel, praktiziert Theaterintendant Klaus Pierwoß erfolgreich. Nachdem die Produktion der Bernstein'schen „West Side-Story“ – so kann man fast sagen – die Fragwürdigkeit einer millionenschweren Musical-Ansiedlung bewiesen hat, ist nun mit dem fast vierwöchigen Gastspiel von George Gershwins „Porgy and Bess“ im Theater am Goetheplatz eine neue Idee realisiert worden: Das Theater macht nur eine verkürzte Pause. Erstmalig gibt es einen Sommerspielplan – für die Zuhausegebliebenen und für TouristInnen. Die Wahl des Stückes – jener genialen, allerdings auch zwitterhaften Verbindung einer amerikanischen Volksoper mit dem zugkräftigen Stil der Broadwaymusicals – zielt ab auf ein Publikum, das nicht nur aus Opernfans besteht.

„Porgy and Bess“ also, vom Dirigenten Lorin Maazel ein „Meisterwerk der Opernliteratur“ genannt, vom Komponisten und Dirigenten Leonard Bernstein als bedeutendste Stimme bezeichnet, die sich „in der Geschichte der amerikanischen Großstadtkultur je erhoben hat“, hatte am Dienstag im Theater am Goetheplatz eine bejubelte Premiere: Das New York Harlem Theatre gastiert nach Auftritten in Rom, Venedig, Sevilla, Antwerpen und Paris zum ersten Mal in Bremen. Gershwins 1935 uraufgeführte tragische Liebesgeschichte zwischen dem verkrüppelten Porgy und der lebenslustigen Bess lief in einer über dreistündigen Aufführung ohne jeden Spannungsverlust ab.

Zwar war die Inszenierung vollkommen konventionell, aber unter dieser Voraussetzung absolut gekonnt. Allein die Riesenrolle des Chores stattete die Regisseurin Baayork Lee mit einer solchen Fülle an Typen, Tätigkeiten und zwischenmenschlichen Kleinigkeiten aus, daß man tatsächlich das Gefühl hatte, am Alltagsleben der entrechteten Fischer von Catfish Row teilzunehmen. Unterstützt wurde das durch ein atmosphärisch dichtes, entsprechend den Tageszeiten und Naturereignissen wunderschön ausgeleuchtetes Bühnenbild.

Alvy Powell sang den Porgy – eine unglaubliche Körperleistung allein die drei Stunden auf den Knien – intensiv und ergreifend. Der kräftige und ungemein präsente Stephen Finch ist eine ideale Besetzung für den jähzornigen und besitzergreifenden Crown: Er singt diese Partie erfolgreich in aller Welt. Charlea Olaker als Bess zeigte empfindlich den nahezu schizophrenen Zustand ihrer Rolle, dieses Hin- und Hergerissensein zwischen drei Männern und die Abhängigkeit von ihnen: Eine Frau, die sich selbst auf erschütternde Weise zur Ware macht. Sharon Simms als Serena, Marjorie Wharton als Maria – ergreifend ihr großes Trauerlied – und Jerris Cates als Clara bewiesen einmal mehr, daß es richtig ist, worüber die Familie Gershwin so penibel wacht: Daß diese Oper nicht durch geschminkte Weiße aufgeführt werden darf.

Chris Nance leitete das Orchester enthusiastisch, und sogar Nummern, die fast Schlager geworden sind wie „Summertime“ und „Bess, you are my woman now“, fügten sich in ein nahtloses Gesamtbild. Die explosiven Chor- und Orchestersätze vermitteln hautnah etwas von „Dramatik, Humor, Aberglaube, religiösem Eifer, Tanzlust und dem unverwüstlichen Optimismus der Schwarzen“ (Gershwin). Wie gesagt, wer nicht einen intellektuellen Überbau in der Regie erwartet, wird in dieser prallen Produktion seine helle Freude haben.

Ute Schalz-Laurenze

Aufführungen mit Ausnahme von Montag täglich bis zum 9. August, Sonnabend und Sonntag stehen je zwei Vorstellungen auf dem Programm