Der Tod kann nichts sehen

Vom Schrumpfkopf zu Johannes dem Täufer: Nach Derrida und Greenaway ist nun die Psychoanalytikerin Julia Kristeva mit ihrer „Parti pris“ an der Reihe. Im Louvre organisierte sie eine Ausstellung, die sich mit Bildern von Enthauptungen auseinandersetzt  ■ Von Martin Conrads

Vor einigen Jahren kam man im Pariser Louvre auf die Idee, Intellektuelle dazu einzuladen, Ausstellungen nach einem selbstgewählten Thema zu präsentieren. „Parti pris“ wurde von Jacques Derrida, Peter Greenaway, Jean Starobinski oder Hubert Damisch zusammengestellt, denen bis dato kuratorische Aufgaben eher fremd waren. Die Semiotikerin und Psychoanalytikerin Julia Kristeva hat sich mit der von ihr für diese Reihe konzipierten Ausstellung „Visions capitales“ ein Motiv ihres 1996 erschienenen Romans „Possessions“ ausgewählt – es geht um Enthauptung. Darüber hinaus orientiert sie sich an der Darstellung des Kopfes als kunstgeschichtlichen Sonderfall: In den von Kristeva ausgewählten Zeichnungen, Skulpturen, Gemälden und Texten versteht sich „Visions capitales“ als Untersuchung am Urgrund der Abbildbarkeit. Zuletzt zieht Kristeva ebenso konsequent im Katalogtext und in der Auswahl der Werke das Motiv der Enthauptung als Beweis für eine „transsubstantiation capitale“ heran, die den Repräsentationscharakter von „Bild, Blick und Heiligem“ am Beispiel des Kopfes darlegt.

Psychoanalytische Kategorien werden durch diesen Filter zum eigentlichen Motor von Kristevas Auswahl. Dabei gelingt es ihr jedoch nicht, das Thema aus seinem dramatischen Umfeld zu lösen. Ähnlich wie der Ausstellungsaufbau in Ocker, Stahl und diffus gesetztem Licht die Räume in düster- tragische Stimmung taucht, halten sich auch die in den Aufbau eingeschobenen Textpassagen in monolithischer Strenge. So finden sich zwischen den biblischen Motiven Johannes' des Täufers oder Judiths und Holofernes' Textstellen von Lacan oder Verweise auf Robespierre – Assoziationsketten, die die Wahl des Themas der Ausstellung weder erklären, noch deren Logik hinreichend vermitteln.

Erst der textreiche Katalog mit einem Essay Kristevas gibt Aufschluß über den gedanklichen Zusammenhang: Der abgetrennte Kopf repräsentiert die Kunstgeschichte hindurch den Moment einer Ästhetik des absoluten, weil unwiderruflichen Schreckens. In der Macht der Darstellung sieht Kristeva den Grund für die Vielfalt der Werke – seien es Zeichnungen, Gemälde oder Skulpturen, Darstellungen der Medusa, christliche Ikonen, Flugblätter der französischen Revolution, Andrea Solarios „Kopf des Johannes“, Günter Brus' „Aufgenagelter Kinderkopf“, Odilon Redons paranoische Skizzen, verzerrte Grimassen auf Zeichnungen von Matthias Grünewald, von Picasso oder Francis Bacon, bis hin zu Arnulf Rainers übermaltem Mumienkopf.

Mit diesen Motiven stellt die Ausstellung eine Hommage an die Bildlogik des Christentums dar, die nicht die Metamorphose des Göttlichen feiert, sondern, so die von Kristeva bevorzugte Sichtweise, antike Vorstellungen und christliche Motive verbindet. Die göttliche Aufteilung in die Sphären von Himmel und Erde als erstem Akt des Trennens überhaupt, dem die Aufteilung in Eros und Thanatos, in Ab- und Anwesenheit, in Fort und Da vorausgeht, würde somit in der Zeichnung als Akt des Zusammenführens von Kopf und Hand, Idee und Repräsentation, ihren paradoxen künstlerischen Ausdruck finden.

Das Heilige, das Göttliche, das Unterbewußte sind somit die von Kristeva angewählten Bereiche – mit der Konsequenz, daß die Ausstellung zur Illustration von Kristevas Katalogtext degradiert wird. Kristeva denkt das Motiv des (abgetrennten) Kopfes aus einem immensen Fundus religiöser und kunstgeschichtlicher Zusammenhänge heraus, vermag aber nicht, die „Macht des Schreckens“ in aktuelle Zusammenhänge zu stellen. Zugleich will Kristeva den kunstgeschichtlichen Subtext des Themas als Kritik an der Kritik des Bildes verstanden wissen: Die porträtierte Enthauptung, so die Pointe, zeigt durch lediglich bildlich dargestellten Schrecken auf der einen Seite, Repräsentation von kastrierter Macht auf der anderen die Grenzen des Sichtbaren – und den Beginn der Analyse. Eine Kritik etwa an der Gesellschaft des Spektakels würde dieser Analyse nicht nur konträr gegenüberstehen. Vielmehr ist die Ökonomie des „Imaginierens“, so Kristeva, geradezu die herausragende Eigenschaft des Psychischen, den Stereotypen medialer Bilder zu widerstreben.

Es mag deswegen sein, daß die Ausstellung mit lediglich zwei Monitoren bestückt ist, die unter anderem mit ethnologischen Aufnahmen von der Schrumpfkopfherstellung bestechen, darüber hinaus aber jede Ebene elektronischer oder populärer Bilder des abgetrennten Kopfes vermeiden. Letztlich sieht Kristeva in der Repräsentation des Schreckens gerade einen optimistischen Zug, durch den sie in der Enthauptung eine Wiedergeburt und im Texten eine Meditation des dargestellten Gedankens ausmacht – eine Idee, die sich in der Ausstellung selbst wiederum nicht manifestieren kann. Und es ist womöglich die erste Ausstellung, in der man die Monstrositäten aus dem Kabinett der Künstlerbrüder Chapman zu Recht vermißt.

„Visions capitales“ (Parti Pris V), bis 27. 7., Halle Napoléon des Louvre, Paris