■ Iranisches Parlament sprach neuem Innenminister das Vertrauen aus
: Prinzip Penetranz

Personalpolitischer Punktsieg für Irans Präsidenten Mohammad Chatami: Obwohl im iranischen Parlament seine konservativen Gegner die Mehrheit haben, sprach das Gremium gestern Chatamis neuem Innenminister überraschend deutlich das Vertrauen aus – einem Reformer.

Doch Chatamis Erfolg ist nur eine Nachricht von vielen aus dem Iran. Zugleich werden Journalisten gegängelt, ihre Zeitungen verboten, stehen kritische Kleriker unter Hausarrest und werden Angehörige der Religionsgemeinschaft der Bahai hingerichtet. Die widersprüchlichen Signale sind Ausdruck des Machtkampfes zwischen dem als Reformer angetretenen Präsidenten und seinen Widersachern. Die politische Strategie des Präsidenten heißt: Penetranz.

Als der von Chatamis Gegnern geschaßte letzte Innenminister sein Büro räumte, sagte er lachend: „Ich habe von Anfang an gewußt, daß ich mich nur sechs Monate würde halten können. Aber ich bin zehn Monate geblieben.“ Anstatt den Abgesetzten in der Versenkung verschwinden zu lassen, erklärte Chatami ihn zum Vizepräsidenten. Und für das Amt des Innenministers nominierte er einen bisherigen Vizepräsidenten, der für die gleichen Ziele steht wie sein Vorgänger: mehr politische Freiheiten.

Chatamis Gegnern muß angesichts dieser Unverfrorenheit das Blut in den Adern kochen. Doch auch sie wissen, daß sie, wenn sie dem stets freundlich lächelnden Regierungschef das Regieren gänzlich unmöglich machen, ein Problem mit der Bevölkerung bekommen. Sie sind darauf angewiesen, daß der Präsident im Amt bleibt, versuchen jedoch, seinen Einfluß möglichst gering zu halten.

Wie lange kann der Präsident wie viele seiner Verbündeten auf dem Personalkarussell halten? Seine Gegner haben sich inzwischen auf den Minister für Kultur und religiöse Führung eingeschossen, und morgen entscheidet ein Gericht über das weitere Schicksal des mit Chatami verbündeten Oberbürgermeisters von Teheran. Teherans Konservative beschäftigen den Regierungschef so mit Personalpolitik, daß er sich um die von ihm einst versprochenen Reformen kaum noch kümmern kann. Trotz Punktsiegen könnte dem Präsidenten so der Zuspruch der Bevölkerung entschwinden. Seinen Gegnern dürfte dies jedoch allenfalls Anlaß zu Schadenfreude sein. Denn seit ihrer schmählichen Niederlage gegen Chatami bei den Präsidentschaftswahlen vor einem Jahr sollten sie sich über ihr Ansehen bei den BürgerInnen keine Illusionen mehr machen. Thomas Dreger