■ Die Kosovo-Albaner geben sich mit Autonomie nicht mehr zufrieden
: Die Perspektive ist Unabhängigkeit

Die Entwicklung im Kosovo ist dabei, in einen regelrechten Krieg zu münden. Die serbische Strategie der verbrannten Erde hat zum Resultat, daß weite Landstriche – vor allem entlang der Grenze zu Albanien – zerstört sind, daß in mehr als 40 Prozent des Landes die Zivilisten – vor allem Frauen und Kinder – zur Flucht gezwungen wurden. Demgegenüber steht der bewaffnete Aufstand eines Teils der kosovo-albanischen Bevölkerung unter Führung der UCK. Und diese will die Befreiung des Kosovo von serbischer Herrschaft.

Die serbische Führung hat sich im Kampf um das Kosovo gegen den Widerstand der Orthodoxen Kirche für eine Militäraktion „zum Schutze der serbischen Bevölkerung“ und nicht für Verhandlungen ausgesprochen. Und sie hat damit auch allen Kräften in der kosovo-albanischen Bevölkerung, die für einen friedlichen Ausgleich, einen politischen Kompromiß eingetreten sind, den politischen Boden unter den Füßen weggezogen.

Noch vor wenigen Monaten war die kosovo-albanische Bevölkerung bereit, der serbischen Seite die jahrelange Unterdrückung und Diskriminierung, das aufgezwungene Leben in einem Apartheidstaat zu verzeihen, wären zukünftig nur ihre Würde, ihre Kultur und ihre Menschenrechte akzeptiert worden. Noch im Januar 1998 sprach sich die Mehrheit für die Wiederherstellung des Autonomiestatus im Rahmen des serbischen Staates aus. Im März und April hätte die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung noch dem Vorschlag zugestimmt, den Status des Kosovo als gleichberechtigte Republik in einem neuen Jugoslawien – bestehend aus Serbien, Montenegro und der Vojvodina – festzuschreiben. Jetzt ist der Zug dafür abgefahren.

Auch auf der serbischen Seite. Die Idee der Begründung eines neuen Jugoslawien ist zwar in Montenegro und in der Vojvodina auf Sympathien gestoßen, sie hätte jedoch den Sturz von Milošević zur Voraussetzung gehabt. Mit der Erhebung des Extremisten Vojislav Šešelj zum Vizepräsidenten, der schon seit langem die Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo fordert, wurde in Belgrad dagegen eine ganz eindeutige und andere Antwort gegeben. Die Folge war der Zulauf zur UCK und zunehmend Aktionen bewaffneter Albaner gegen die serbische Zivilbevölkerung. Wer als Albaner noch immer den politischen Dialog sucht, wird nicht nur von den Serben, sondern auch von der UCK „bestraft“. Sie riskiert jetzt alles im Kampf gegen die serbische Herrschaft. Was sie nach der Befreiung will, weiß sie jedoch nur selbst: Ein unabhängiges Kosovo, Großalbanien, eine demokratische Gesellschaft oder eine Militärdiktatur in der Zeit nach der Befreiung?

Je weiter sich die Kriegshandlungen entwickeln, desto größer wird die Gefahr, daß Albanien, Makedonien und Montenegro in den Krieg gezogen werden. Ein angesichts der militärischen Kräfteverhältnisse durchaus mögliches großes Massaker an der albanischen Bevölkerung kann weder von Albanien noch von den Albanern Montenegros oder Makedoniens hingenommen werden.

Was könnte aber die Ausweitung des Krieges noch verhindern? Der Eingriff muß von außen kommen. Wenn die internationale Gemeinschaft sich durchringen könnte, gepaart mit militärischem Druck beide Seiten auf eine mittelfristige Strategie zu verpflichten, durch die der Gesamtbevölkerung Kosovos eine Perspektive für eine friedliche Entwicklung gegeben würde, könnte die Logik des Krieges vielleicht noch durchbrochen werden. Es müßten dann aber genaue Prozeduren festgelegt werden, wie das Kosovo als demokratischer, die Rechte der Minderheiten schützender Staat unabhängig werden kann. Erich Rathfelder