Analyse
: Zurück von der Wiese

■ Die Innenstädte veröden, weil Umlandgemeinden eigennützig planen

Hereinspaziert zum alten, aber immer wieder spannenden Kampf der Freiheit des einzelnen gegen das Wohl der Allgemeinheit. Heute: Innenstädte gegen Umlandgemeinden. Nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Münster muß sich eine Gemeinde, bevor sie ein Sondergebiet für großflächige Handelsbetriebe auf der „grünen Wiese“ genehmigt, „Gewißheit über die möglichen negativen Auswirkungen auf die Umverteilung der Kaufkraft verschaffen“ (AZ: 7a D 108/96 NE). Die Innenstädte klagen schon lange über riesenhafte Einkaufszentren vor den Toren der Stadt, weil sie die Käufer zum Abwandern verführen. An den drei wichtigen Einkaufstagen gegen Wochenende sei die Zahl der Innenstadtbesucher weiter zurückgegangen, berichtet das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Grund: Im Umland ist alles billiger und sauberer, Penner gibt es nicht, dafür aber jede Menge Parkplätze. In der Stadt verwaisen die alten Einkaufsmeilen – laut IW sind gut vierzig Prozent der Innenstadtbesucher keine Kunden, sondern Bummler.

Das Münsteraner Urteil könnte ein erster Schritt sein, dieser Entwicklung ein Ende zu bereiten. Begrüßt wird es von allen Seiten. Auch der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE), der die Interessen seiner großen und kleinen Mitglieder vertreten soll, geht konform. Das Urteil, sagt Geschäftsführer Armin Busacker, sei „ein deutliches Warnsignal an die Kommunen, stadtverträglich zu planen“.

Fraglich ist, ob diese das Signal hören wollen – oder überhaupt müssen. Denn das Grundgesetz garantiert den Gemeinden in Artikel 28 das Recht auf Selbstverwaltung. Dazu gehört auch die Freiheit, über die Verwendung von Grund und Boden selbst zu entscheiden. Wie könnte man einer Kommune verbieten, mit Blick auf Steuereinnahmen und Arbeitsplätze einen Konsumtempel zu genehmigen?

Es wird in Deutschland nicht so einfach sein wie in Großbritannien, wo Maggie Thatcher kurzerhand die Parkplätze auf der grünen Wiese so hoch besteuert hat, daß den Investoren die Lust auf gigantische Wiesenprojekte bis heute vergangen ist – solche Steuern wären hier Sache der Kommunen, die daran wohl kaum Interesse hätten.

Hans-Ludwig Oberbeckmann, Generalsekretär des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung, vertraut auf eine neue Bundesregierung. Diese sollte seiner Ansicht nach Anreize für Investoren schaffen, zum Beispiel mit Abschreibungsvorteilen für Innenstadtinvestitionen. Das nächste Problem steht derweil schon ins Haus: An der niederländischen und belgischen Grenze zu Deutschland sind auf beiden Seiten große Einkauszentren geplant, um den Nachbarstaaten die Kunden zu entlocken. Stefan Kuzmany