Neue Variation über Genie und Wahnsinn

■ „Soul in the hole“: Danielle Gardners Dokumentarfilm über eine Streetballcrew in Brooklyn setzt auf quicklebendigen HipHop-Groove statt auf tötliche Kommentare

Wäre diese Welt eine gerechte, hätte Paul Gibson letztes Jahr den Oscar für die beste Kamera abbekommen. Da die Welt aber gemein, dumm und blind, vor allem blind ist, und der Name Paul Gibson in der Weltgeschichte fürderhin vielleicht keine Erwähnung mehr finden wird, soll ihm an dieser Stelle ein wenig Zuwendung zukommen. Also: Paul Gibson ist groß. Paul Gibson ist Kult. Paul Gibson ist klasse.

Nachdem dies nun also erledigt wäre, nun zu seinem, Paul Gibsons, Produktionsmittel: die Kamera. Sie guckt sich in der Asphaltlandschaft Brooklyns um mit der Entdeckungsfreude eines kleinen Babys. So krabbelt sie zum Beispiel gemächlich einem Riß im Straßenbelag entlang, stößt dabei unverhofft auf eine Kreidezeichnung und reißt die Augen ganz weit auf: „Soul in the hole“ prangt es da auf dem Boden mit aller Schönheit der Flüchtigkeit; der Name eines von 40 Basketball-Turnieren in den Hinterhöfen Booklyns. Ein andermal schweift der Kamerablick lässig über ein Schaufester, stockt und zoomt mit einem heftigen Ruck der Neugierde auf ein Paar läppische güldene Ohrringe hin. In einer dritten Szene interessiert sich das Filmauge für einen Plausch auf der Straße, läßt sich von einem vorbeifahrenden Radfahrer ablenken und flitzt ihm hinterher.

Und da es in diesem Film nicht nur um den schillernden Kosmos göttlicher Nebensächlichkeiten geht – türkisfarbene Sonnenschirme, Whiskeyflaschen (“Wild Irish Rose“), kleine Mädchen vor Grafittiwänden - , sondern um den großen Sport in jener Kleinstadt im Herzen des Molochs New York, jagt die Kamera erbarmungslos den Bällen hinterher, als wäre sie nicht stiller Beobachter, sondern schweißtriefender Mitspieler. Paul Gibsons (!) Kamera ist mindestens ebenso flatterhaft und unberechenbar wie wieselflink und hellwach.

Mit dieser gefährlichen Charaktermischung ähnelt sie in bemerkenswerter Weise „Booger“, dem Helden des Films. Der kann kaum lesen, klaut, dealt, hält es nirgends lange aus... Dafür ist er Brooklyns begnadetster Basketballer. Auf dem Spielfeld reckt und streckt er sich wie ein junger Gott, im Gespräch sackt er zusammen zu einem Häufchen Scham, das jeden Augenkontakt ablehnt. Die Kamera nesselt verständnisvoll irgendwo an seinem Bauch herum; erst am Schluß sieht sie ihm ins Gesicht.

Booger spielt im Team von Kenny. Der ist fett, cool und finanziert von seinem Gehalt als Schnapsverkäufer die Sportklamotten „seiner“ Jungs und die giftig gefärbte Gatorades-Limonade, die in Unmengen die ausgepowerten Kehlen hinabläuft. Beim Streetball, erfährt man, geht es um fun – hey man, it's just fun; außerdem darum, den Kids ein besseres Leben jenseits von Drogen und Gewalt zu zeigen. Allerdings kann es schon mal vorkommen, daß ein Schiedsrichter, der falsch pfeift, abgeknallt wird. Geweint, geprügelt, geflucht wird auch. Und den nötigen Kick fürs Spiel gibt man sich durch Haß und Leistungsmoral. „Hard work“ heißt der Selbstanfeuerungsruf.

Die gegnerische Mannschaft setzt sich dann zusammen aus einem „fetten Nigger“, dem „Nigger mit den abstehenden Ohren“ und dem „Scheißnigger“. Wegen solcher schwarzen Selbstdiskriminierungen müssen die Trainer schon mal wie kleine Buben beim Schiedsrichter antanzen. Der fordert PC, Respekt, Achtung. Ein Anliegen, das die Trainer ihren Jungs etwa so übersetzen: „Fluchen ist erlaubt, nur das Wort Nigger ist heute Tabu.“

Langsam und unerwartet arbeitet sich der gutgelaunte Film von solch schroffer Ghettoromantik weiter zu einer Liebesgeschichte zwischen Trainer Kenny und Booger. Ausgesprochen wird in dieser coolen Subkultur natürlich nicht viel. Ahnungen blitzen auf von einer niedermachenden Mutter und einem wohlmeinenden, aber herrschsüchtigen Ersatzvater Kenny. Umso mehr kann sich der Zuschauer denken. Muß er auch. Denn der Film weigert sich, sein Publikum durch Kommentare und soziologische Einordungen zu belästigen. Satt dessen liefern jede Menge HipHop-Größen (Wu Tang Clan, Brand Nubians, Mobb Deep) den idealen Soundtrack zum ernsten Spiel.

So wird „Soul in the Hole“ zu einem genialen, warmherzigen Plädoyers für alle unentdeckten Genies und schwierigen, unangepaßten Menschen. Barbara Kern

Im Cinema, täglich 19 h