Bestmöglich brüchig

Der Klimperkasten aber war eine Beleidigung für seine Finger – Eddie Bo bei den Heimatklängen im Tempodrom  ■ Von Norbert Hesse

Viele Rhythm&Blues-Songs habe er komponiert, behauptete Edwin Joseph Bocage alias Eddie Bo, unter anderem den Karnevalsschlager „Who Shot the La La“ von Oliver Morgan, oft allerdings unter dem Namen seiner damaligen Gattin Delores Johnson. Nach Fats Domino hat Bo in New Orleans in den 50er und 60er Jahren die meisten Platten aufgenommen, aber nur mit „Hook And Sling“ kam er kurz in die Hitparaden. Neben Fats Domino, Allen Toussaint, Huey Smith und Doctor John vervollkommnet er das Quintett der letzten lebenden Pianisten von Bedeutung in der Crescent City am südlichen Ende des Ol'Man River Mississippi. Nur – von alledem war bei seinem Einstand zur fünftägigen Konzertserie nichts zu hören.

Daß Bo ein versierter Mann an der Tastatur ist, war bei seinen wenigen Soli am Roland-Keyboard durchaus zu erahnen, aber dieses elektronische Ersatzmittel hat eben nicht die 88 Tasten eines Konzertflügels. Für die Miete eines solchen reichte wohl das Budget des Veranstalters nicht? Zwei Stunden lang konnte Bo sich instrumental nicht profilieren, der wackelige Klimperkasten war eine Beleidigung für seine Finger.

Vielleicht hatte das fehlende Arbeitswerkzeug auch Einfluß auf Bos Repertoire. Denn aus seinem umfangreichen Werk an Kompositionen auf über 50 doppelseitigen Singles brachte er nur „You Got A Hole In It“, „Check Mr. Popeye“ (eine banale Tanznummer von 1962) und in einem Oldies-Potpourri „Slippin' & Slidin'“. Locker hängte er daran Strophen aus Oldietänzen: „Rockin' Pneumonia And The Boogie Woogie Flu“, den unverwüstlichen „Twist“ und „Lucille“. Bo warf Mardi-Gras-Utensilien und Ketten ins Publikum, tanzte mit einem Second-Line- Schirm über die Bretter.

Der Abend begann mit „Every Day I Have The Blues“, einem Bluesstandard, der einem schon längst zu den Ohren heraushängt, aber Bo gelang es, mit seiner fetzigen Band dem ausgelutschten Titel eine neue Geschmacksvariante zu geben. Manchmal erinnerte die etwas brüchige Stimme an den in Berlin unvergessenen James Brooker, neben Professor Longhair der fingerfertigste Tastenzauberer aus New Orleans. Bo legte Brille und Jackett ab, krempelte die Ärmel des hellroten Hemdes hoch und versuchte das Bestmögliche aus dem mickrigen Keyboard herauszuhämmern, um mit Longhairs „Big Chief“ Mardi-Gras-Flavour ins zahlreich erschienene Publikum zu transportieren. Als nächstes kündigte er Blues an, sang die Soulballade „Steal Away“ über ungeduldige Libido. Den restlichen Abend füllte Bo mit vier in die Länge gestreckten Soulklassikern, die er spannend aufbaute: „When Something Is Wrong With My Baby“ mit einem energiegeladenen Ende, James Browns „I Got You (I Feel Good)“, „I've Been Loving You Too Long“ von Otis Redding und als Zugabe „Wonderful World“. Seinen sieben Begleitern ließ er wiederholt freien solistischen Lauf, Irvin Banister beackerte seine Gitarre auch hinterm Gesäß, Louis Morgan gackerte auf seinem Altsaxophon, und Bo selbst gab noch weitere Tanzeinlagen. Erstaunlich vital war er – wie alt ist der Weißbärtige eigentlich? Vor Jahren sagte er, 1937 geboren zu sein, sonst ist überall 1930 zu lesen. Mit Zahlen hat er's nie gehabt. Vielleicht wurde er deswegen in altkapitalistischer Manier wiederholt von Plattenfirmen und Musikverlagen übers Ohr gehauen? Ende der 70er hatte er die Nase so voll, daß er als Teppichverleger jobbte. Aber der Musikvirus brach wieder aus und jetzt badet der charmante Entertainer in internationalem Beifall.

Eddie Bo bei den Heimatklänge, Fr. und Sa., 21.30 Uhr, So. ab 16 Uhr im Tempodrom, in den Zelten, Tiergarten