Der Anlaß? Vergessen. Das Muster? Geblieben.

■ Eine Neuköllner Ausstellung zum Sitzenbleiben über den Zeichner Walter Herzberg

Ausradiert waren die Karikaturen von Walter Herzberg seit fast 60 Jahren. Ihr Schöpfer wurde 1943 als Jude von den Nazis nach Auschwitz verschleppt und ermordet. Ihr Medium, Ulk, die wöchentliche satirische Beilage des liberalen Berliner Tageblatts, verschwand ohne jedes Aufsehen. Und selbst die Zeichnungen gibt es nicht mehr: Die Originale, Freunden zur Aufbewahrung überlassen, verbrannten in Berliner Bombennächten.

Walter Herzberg wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Und jetzt, endlich, ist er wieder da. Seine Zeichnungen hängen in einem Zimmer in Berlin-Neukölln. Einige Familienbilder sind an der Wand ausgestellt. Vor allem aber hängen Zeitungsständer an der Wand, gut gefüllt mit insgesamt rund 100 Karikaturen aus dem Ulk. Wer mag, kann es sich auf Kaffeehausstühlen bequem machen und blättern: eine Ausstellung zum Sitzenbleiben.

Herzberg, im 1. Weltkrieg zum Pazifist geworden, kam 1927 zur Zeitung und arbeitete dort bis zum Ende 1933. Es waren tagesaktuelle Blätter, die er dort regelmäßig abgab. Manches läßt sich leicht einordnen. Doch wenn Herzberg zum Kellog-Pakt von 1928, der – vergeblich – den Angriffskrieg ächten sollte, einen nackten Kriegsgott und den bis zum Zusammenbruch mit Rüstungsgütern beladenen Friedensengel präsentiert, sind schon historische Fachkenntnisse notwendig. Glücklicherweise sind die Blätter hervorragend kommentiert. Bei anderen ist der Anlaß vergessen, und doch bleiben sie universell und tagesaktuell: Erziehung zum wohlgeformten Untertanen oder Armut und Arbeitslosigkeit mag es so wie bei Herzberg nicht mehr geben – das Muster aber ist geblieben.

Ein Gutteil seiner Karikaturen hat die zum Inhalt, die schließlich den Karikaturisten selbst ermordeten: die Ende der 20er, Anfang der 30er aufsteigenden Nationalsozialisten. Herzberg zeichnete sie mit kleinen Hirnen, großen Stiefeln, mit Spott und Hohn – aber nicht als unmenschliche Fratzen.

Es hat nichts geholfen, es hat ihm nichts geholfen. 1933 floh der Karikaturist nach Paris. Zwei Jahre später kam er in fürchterlicher Fehleinschätzung der Lage nach Berlin zurück. Danach durfte er nicht mehr als Künstler arbeiten. Sein Abstieg steht für die Entrechtung der deutschen Juden: Zuerst Buchhalter, dann, nach der „Arisierung“ des Betriebs, arbeitslos, später Zeichenlehrer an der jüdischen Schule Rykestraße, schließlich „Ordner“ im Dienste der jüdischen Gemeinde und im Befehl der Gestapo, dazu gezwungen, Juden die Deportationsbescheide zu überbringen. Am Ende steht ein Formular der Oberfinanzdirektion Berlin über Herzbergs Deportation „nach dem Osten“. – Walter Herzberg ist wieder da! Klaus Hillenbrand

Bis 16. August im Saalbau Neukölln, Karl-Marx-Straße 141, Mi.–So., 12–18 Uhr. Und demnächst: Barbara Schieb (Hg.): „Walter Herzberg“. Dölling und Galitz Verlag, 168 Seiten, 39 DM