Durchs Dröhnland
: Popanz fliegt

■ Die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Dr.Fettadler. Sich so zu nennen, muß man erstmal wagen. Dann kann man anfangen folkig daherzudaddeln, Gitarrensoli von hier bis morgen früh zu spielen, dem Rock die Schwarte krachen und eine Runde Lambada arschwackeln zu lassen. Ob Psychedelisches oder New Age, das Berliner Sextett hat vielleicht keine Ahnung, was es da spielt, aber das tut es gut. Wein, Weib und Gesang und die Folgen sind die textliche Grundlage, und das erklärt einiges, wenn aber auch nicht alles an diesem verwegenen Konstrukt.

24. 7., 22 Uhr, JWD, Eiswerder Str.22

Es gibt auch ein paar Ostberliner Hardcore-Legenden. Nicht unwesentliche Teile derselben haben sich schon vor Jahren zu Punishable Act zusammengeschlossen. Gitarrenprügeleien, Mitgröhlrefrains und ein Rhythmuswechsel hin und wieder, weil's was her macht, finden sich hier auf „Weltniveau“, wie man das früher genannt hätte.

24. 7., 21 Uhr, Sportlertreff, Schönhauser Allee 21

Es ist schon so viel, wahrscheinlich allzu viel gesagt worden über Tortoise, daß ihre Musik längst schon nicht mehr als Musik funktioniert. Der Versuch des Quintetts, der Rockmusik neue Wege aufzuzeigen (indem statt Nähe, die Differenzen zu moderner Technik gesucht und aufgeschlüsselt werden), scheint statt dessen nur mehr intellektuell erfahrbar zu sein. Man redet drüber, erklärt das Experiment für gelungen oder gescheitert. Aber einfach mal wieder zuhören, den Groove spüren, die vielen kleinen Geräusche in den richtigen Ort fallen lassen? Dabei funktioniert auch Tortoise's Musik so, eben als Musik.

25. 7., 19 Uhr, Lindenpark Open Air, Stahnsdorfer Straße 76, Potsdam

Wer sich zuletzt mal auf einem Mittelaltermarkt rumgetrieben hat, um seine Sammlung an Luther-Bibeln und Hexenbesen zu vervollständigen, könnte In Extremo über den Weg gelaufen sein. Dort nämlich begann die Karriere der Berliner Band, die in Kostümen wie aus einem „Mad Max 3“-Remake ihre Schalmaien und Dudelsäcke zu Höchstleistungen trieben. Doch irgendwann war es genug mit der Dudelei. Den Sound bestimmt seitdem meist eine Gitarre, die sowas von elektrisch ist, daß man sich schon fragt, wo die Jungs damals den Strom herkriegten. Das scheint die Herren von In Extremo allerdings nicht davon abgehalten zu haben, im Lateinunterricht besonders gut aufzupassen, von Mittelhochdeutsch und den anderen obskuren Sprachen ganz zu schweigen, die sonst noch verwendet werden. Wenn etwas zu verstehen ist, scheinen die Texte immer noch wortwörtliche Übersetzungen von Originalgedichten zu sein, voller Blut und Tod, Land und Erde, Knechtschaft, Lanze, Kreuz und Dornenkrone. Schwer was los also im Geschäft mit der Vergangenheit, auch wenn die Texte noch um einiges lächerlicher wirken, wenn wieder mal die Gitarre von den Dudelsäcken übernimmt und sich gar am Hardcore versucht.

30. 7., 21 Uhr, Pfefferberg, Schönhauser Allee 176, Prenzlauer Berg

Industrial mag eine meist ziemlich abgeschlossene Veranstaltung sein, die sich zuweilen an der eigenen Starre am liebsten erfreut, aber zuletzt tat sich dann doch ein wenig. So erforschen Y Front aus dem französischen Mulhouse erfolgreich die Ränder, und wie diese zu Metal oder Dancefloor lappen. Innerhalb eines Songs kann da ein wüstes Geboller stattfinden, das übelste militaristische Assoziationen weckt, sich darüber eine Popmelodie ausbreiten, die versucht, einem Blümchen ins Revers zu stecken. Im Hintergrund schleift es düster wie in einem David-Lynch-Film, dann kommen getragene Monsterrock- Gitarren über irgendwie ungelenk knallenden Big Beats. Manchmal, denkt man sich so, wäre weniger sicher mehr gewesen. Die Produktion, das liegt im Genre begründet, ist hauptverantwortlich, ob der Popanz richtig aufgeblasen wird, daß er fliegt und nicht platzt. Und da wurde bei Y Front beste Arbeit geleistet. Fragt sich nur, ob das auf der Bühne, Aug in Aug mit jemandem, der Sachen singt wie „the moments of madness could be perfect“, genauso funktioniert.

Mit Wokain, 30. 7., 22 Uhr, Tacheles, Oranienburger Straße 190, Mitte Thomas Winkler