Deutsche Seele liebt eindeutige Regelung

■ betr.: „Angst vor Fehlern“, taz vom 14. 7. 98, „Staat darf Sprache regeln“, „Der Posse letzter Akt“, taz vom 15. 7. 98

Kann mal irgend jemand dem Reinhard Kahl sagen, daß es nicht um die „Angst vor Fehlern“ geht, sondern darum: Es ist zum Beispiel „zusammen leben“ inhaltlich etwas anderes als „zusammenleben“. Wer aber auf solcher inhaltlichen Präzision nicht mehr besteht, sondern die Verwendung von Begriffen zur beliebigen Disposition stellt, wird schnell merken, daß er damit das differenzierte, präzise, sachkundige Denken zur Disposition gestellt hat. Davor also die Angst. Gerd Syben, Bremen

Mit der BVerfG-entscheidung vom dienstag wird also die „reform“ der deutschen rechtschreibung kommen, für mich ein „reförmchen“: „Trennst du jetzt s-t, tut's ihm nicht mehr weh!“ Oder: „Die belämmerte Gämse verbläut aus Hass in der Schenke/Schänke behände das überschwängliche Känguru mit einem Stofffetzen.“ Vielleicht interessiert ein rückblick:

Wir haben seit 1901 permanent rechtschreibreform: a) die staatlich bisher abgesicherte durch die Duden-redaktion selbst (aus „radfahren“ wurde „Rad fahren“ und wieder retour, kaum bemerkt erhielten wir längst schon die schreibvarianten „majonäse“, „schi“, „kautsch“ usw.); b) hält uns die werbung ihre kreative graphic mit dem holzhammer wiederholt wiederholter wiederholung vor augen und hirn (Nirosta, Wileda, Progress, Glizi, Fanta, Tai-Ginseng, petra, CAMEL LIGHTS, hidrofugal, etherische Öle, SelterS) und lockert damit peu à peu das graphische zwangskorsett der verordneten norm. Sollte man die vielleicht ganz fallenlassen und etwa Jacob Grimms schreibvision erfüllen: zurück zur „verscherzten einfachheit des mittelhochdeutschen“, zur phonetischen schreibung des „schreib, wie du sprichst“?

Nun warten wir alle auf den ausgang des volksentscheids in Schleswig-Holstein. Vielleicht folgen dem dann noch weiter weitere bundesländer. Ich sehe es kommen, daß wir in den status vor der 2. rechtschreibkonferenz 1901 zurückfallen, als es länderspezifische schreibungen gab: wir werden wieder eine orthographie in Berlin haben, eine in Bayern, wieder eine andere in Hessen und besonders eine in Niedersachsen.

Und eine im Flecken Bovenden. Seit ich 1970-73 am grimmschen „Deutschen Wörterbuch“ in Göttingen mitarbeiter war, schreibe ich wie weiland mein germanistischer urgroßvater Jacob Grimm die substantive klein. Und garantiert über das jahr 2005 hinaus. Burckhard Garbe,

Flecken Bovenden

Spaghetti schreibt man jetzt ohne „h“? Dann müßte man es ja auch anders sprechen, mit „dsch“ wie in „Gigolo“? Fangen die Herren jetzt auch an, die italienische Rechtschreibung zu deformieren? Da sei die Kultusministerkonferenz vor – Gott alleine reicht da wohl nicht mehr.

Übrigens entscheiden beide nicht über die Rechtschreibung – das tut eine ganz andere, und zwar wirklich die letzte Instanz: die Rechtschreibkorrektur von „Word“. Insofern mußte ich herzlich über die Nachricht lachen, daß einige Zeitungen weiterhin die alte Rechtschreibung verwenden wollen: in ein paar Jahren könnten sie die Korrekturfunktionen ihrer Textprogramme nicht mehr verwenden. [...] Norbert Wingender, Karlsruhe

[...] Die Reform selbst ist bei weitem nicht so schlecht wie ihr Ruf. Endlich werden rational nicht begründbare Schreibweisen (wie „Schiffahrt“) zugunsten einer logischen Schreibweise geändert. Zugegeben: Manche Neuerungen sind auch nicht gerade das Gelbe vom Ei, aber in der Summe finde ich die neuen Schreibweisen besser und werde sie mir aneignen. Außerdem wird niemand gezwungen, die alten Schreibweisen aufzugeben. Wer will, kann weiterhin so schreiben wie gewohnt, ohne falsch zu schreiben. Der Widerstand rührt zum Teil wohl auch aus dieser Ecke. Denn daß in Deutschland mehrere verschiedene Varianten ein und derselben Sache nebeneinander als richtig angesehen werden, ist für einige scheinbar unvorstellbar und grenzt wohl an Anarchie. Wo die deutsche Seele doch so sehr die eindeutigen Regelungen [...] liebt.

Übrigens seien diejenigen, die partout alles einheitlich geregelt haben wollen, nur auf zwei Sachen hingewiesen: Viele Leute schreiben immer noch „Photo“ statt „Foto“, und die ÖsterreicherInnen schreiben sogar „Schi“ statt „Ski“. Die betroffenen Länder sind davon nicht untergegangen, der kulturelle Niedergang ist ausgeblieben. [...]

Geben wir der letzten echten Reform der Legislaturperiode eine Chance und hören auf, an dieser Reform rumzunörgeln. Ingo Kindgen, Bergheim