„Wir sind alles alte Zauser“

Interessant wird es erst ab 50 Tonnen Gewicht: Mit dem Schwimmkran HHLA IV im Hamburger Hafen waren unterwegs  ■ Heike Haarhoff und Stephan Pflug (Fotos)

Der Japaner auf der Brücke des Containerfrachters NYK SIRIUS hat den Schwimmkran auch ohne Fernglas schon von weitem erspäht. Wie der Eiffelturm auf einem Ponton schippert der Hafenkran aus mächtigem Stahl und noch mächtigeren Hebearmen gemächlich durch den Hamburger Hafen. Sechs Knoten pro Stunde, bei entgegengesetzter Strömung zuweilen weniger, mehr Geschwindigkeit ist bei 5000 Bruttoregistertonnen Eigengewicht nicht drin.

Aber das macht auch nichts: Wer die HHLA IV oder ihre Schwester, die HHLA III, die beiden großen Schwimmkräne im Hamburger Hafen, zum Löschen seiner Schiffsladung bestellt hat, wartet gern ein wenig. So auch an diesem sonnigen Julimorgen der Japaner, der in seiner blütenweißen Arbeitskluft und mit der Sonnenbrille eher wie ein asiatischer Geheimdienstler denn wie ein Matrose aussieht. Was bleibt ihm auch? Niemand außer diesen beiden Kränen ist im Hafen in der Lage, immense Gewichte bis zu 200 Tonnen aus dem Stand zu heben und zum Weitertransport auf ein anderes Schiff oder einen Lkw zu hieven. 200 Tonnen, das entspricht 200 VW-Käfern auf einmal. „Ab 50 Tonnen“, grinst Schiffsführer Peter Jockel, „wird's für uns interessant.“

Lokomotiven, Generatoren, Industrie-Maschinen – das sind die Kaliber, mit denen es der Schwimmkran aufnimmt. Dabei ist er ganz unspektakulär konstruiert: Eine schwimmende Plattform, die seit 1957 von dem gleichen Maschinenblock wie ein normales Schiff angetrieben und von Propellern gesteuert wird und auf der ein dreh- und schwenkbarer Kran montiert ist. Weswegen das Gefährt Schwimm-Kran heißt.

36 von 56 Lebensjahren hat Schiffsführer Jockel auf dem Schwimmkran, seinem „zweiten Zuhause“, verbracht. Seit kurz vor sieben ist er an diesem Morgen unterwegs, jetzt ist es acht, und sanft wie ein Luftkissenboot dockt der Kran an die NYK SIRIUS, das japanische Containerschiff unter panamaischer Flagge, an. An Bord: eine schwarze Kurbelwelle für einen Acht-Zylinder-Schiffsmotor, länger als vier aneinandergereihte, ausgewachsene Männer und so schwer wie 163 zusammengepreßte Kleinwagen, 163 Tonnen.

Die Kurbelwelle ist auf dem Weg von Tokio nach Rostock via Hamburg, wo sie von der NYK SIRIUS auf die Tina, ein eher unscheinbares Küstenmotorschiff, verladen werden soll.

Mit starken Seilen werden die beiden Schiffsriesen miteinander vertäut, dann wechseln vier der sieben Schwimmkran-Besatzungsmitglieder das Schiff. Von japanischer Seite aus werden die Männer über Funk ihren Kollegen Hans Sibbe hoch oben im Kranführerhäuschen beraten, aus welchem Winkel er das gußeiserne Monster am besten anhebt.

Hans Sibbe, 50 Jahre, ist ab jetzt der entscheidende Mann. Der Spezialist, der alles im Blick und unter Kontrolle haben muß. Eine falsche Handbewegung, ein ungeschickter Schwenk, und alles könnte herunterkrachen, 163 Tonnen in voller Wucht, Menschenleben gefährden, 800.000 Mark Kurbelwellen-Wert im Hafen versenken und Schadensersatzklagen der Hersteller provozieren. Ein Schreckensszenario, das niemand auf der HHLA IV erleben möchte. Weswegen man einen verantwortungsvollen Kranführer wie Hans Sibbe braucht.

Doch so gut der das weiß, so wenig erfüllt ihn diese Tatsache mit Stolz, wie auch immer, er ist keiner, der große Worte über seinen Job verliert. Mürrisch, die Kippe zur Konzentration darf selbstverständlich nicht fehlen, blickt er hinab auf die Kurbelwelle. Unbeweglich liegt sie da, während Sibbe hoch oben über dem Hafen thront und beobachtet, wie seine Kollegen in Marine-Schlaghosen und Wollpullis sich plagen, Seile und überdimensionierte Karabinerhaken in die Ösen des Maschinenteils zu schlingen; wie sie also, um den Arbeitsgang in korrektem Schiffstechniker-Deutsch zu benennen, „die Stroppen anschlagen“.

Erst wenn alles ordentlich vertäut ist, kann Sibbe beginnen, die Kurbelwelle vorsichtig hochzuheben. Derweil könnte er den gigantischen Ausblick über Containerterminals, Kaimauern, Elbinseln und Flußufer, um den ihn jeder Normalsterbliche beneiden würde, genießen. Könnte, denn sein „Cockpit“, das etwa so groß ist wie ein Gästeklo und dessen technische Apparaturen an den Physikunterricht der fünften Klasse erinnern, ist zu allen Seiten, selbst nach unten, verglast. Nichts soll Sibbe entgehen. Doch Sibbe hat spürbar keine Lust. „Geld verdienen“, sagt er unwirsch, „kannst du hier doch nur mit Überstunden.“

Aber das ist es nicht, was ihm so zu schaffen macht. Vor 25 Jahren hat Sibbe bei der Hamburger Hafen- und Lagerhaus Aktiengesellschaft (HHLA) angefangen – als Elektriker. Dann aber wurden die betriebseigenen Werkstätten nach und nach geschlossen. Bis es vor neun Jahren für Sibbe, der „mit Kranen nichts am Hut hatte“, hieß: entweder Kranführer auf der HHLA IV werden oder sich einen anderen Arbeitgeber suchen. „Und was machst du in dem Alter?“

Sibbe verschränkt die Hände in der Jeansjacke. „Wir sind doch alle alte Zauser.“ Er klingt bockig, und nicht mal Howard Carpendale, der ironischerweise just in diesem Moment „I wish I was sailing away“ durchs Radio schmalzt, kann ihn aufheitern. Denn Kranführer sein bedeutet im Zweifel auch, bei Wind und Wetter, wenn gerade nichts zu verladen ist, schwere Stahlseile, Bolzen und Schäkel aus Spezialguß an Deck hochzuhieven und aufzuräumen. Mehrmals täglich die ermüdenden 65 Stahlstufen zum Kranführerhäuschen zu erklimmen. Oder auch mal den Schwimmkran, immerhin Baujahr 1957, instandzusetzen.

Jetzt aber scheint die Sonne, und die Kollegen von unten bedeuten, daß es losgehen kann. Sibbe fixiert die Kurbelwelle, blind bewegt er mit den Händen die beiden Steuerknüppel neben ihm: rechts zum Heben und Senken, links zum Auslegen und Drehen. Der Arm des Krans bewegt sich. Der Kranführer blickt auf die Lastmomentkurve. „Bei mehr als sechs Grad Neigung müssen wir aufhören, sonst kippt das Ding um“, erklärt er. Ein leichter Ruck, die Stroppen spannen sich wie die Drahtseile eines Kettenkarussells in voller Fahrt, und Zentimeter für Zentimeter hebt die Kurbelwelle ab. „Das Wichtigste ist, das Aufnahmegewicht immer gerade aufzunehmen“, lehrt Sibbe.

Der Ponton liegt jetzt leicht schräg im Wasser. Wer nicht schwindelfrei ist, sucht sich besser ein Geländer. Sibbe balanciert die 163 Tonnen mit einer Eleganz, als seien sie eine Feder. Auf der Plattform des Schwimmkrans setzt er sie zunächst behutsam ab, die Japaner winken erleichtert zum Abschied, und die HHLA IV fährt weiter zur Tina, dem Küstenmotorschiff, das die Kurbelwelle an ihr Ziel Rostock bringen soll. Tina hat etwas von einem Seelenverkäufer. Ihr Tiefgang liegt jetzt bei 70 Zentimetern. „Keine Sorge, die Tina hat schon ganz andere Sachen transportiert“, lacht ihr Kapitän. Als wolle er sich selbst Mut machen. Das Absenken der Kurbelwelle ist Millimeterarbeit. „Stopp, nochmal zurück, und ein bißchen mehr nach links jetzt.“ Über Funk empfängt Sibbe die Anweisungen seiner Kollegen. Endlich ist es geschafft. Die Tina schaukelt bedenklich. Die Kurbelwelle zieht sie beträchtlich nach unten. Der Tiefgang beträgt mittlerweile 1,40 Meter. „Kein Problem“, lacht der Kapitän, und Hans Sibbe sagt, daß „heutzutage selbst die verdammt schweren Güter meistens auf Schuten transportiert werden, weil das billiger ist“.

Egal. Das erste Manöver an diesem Tag ist erfolgreich beendet. Es ist bald elf Uhr. Zeit für einen Kaffee. Hans Sibbe verläßt seine Kanzel. Wie ein Wiesel klettert er die 65 Stufen hinab. Bloß nicht zurückblicken.