Öko-Siedler verzweifelt gesucht

Auf dem Gelände eines alten Sanatoriums der Sowjetarmee in Lychen soll die ökologische Großsiedlung Ökostadt entstehen. Bisher wohnt dort erst ein einziger Siedler  ■ Von Kirsten Küppers

Eigentlich sollte es ja eine Stadt werden. Nach kalifornischem Vorbild und ökologischen Kriterien gebaut. Mit 10.000 Einwohnern. Bisher gibt es davon erst einen einzigen: Der 58-jährige Klaus-Peter Kurch wohnt bislang allein im Projekt „Ökostadt“ in Lychen.

Der kleine Mann mit den drahtigen schwarzen Haaren lebt in einem karg möblierten Zimmer im Seitenflügel des ehemaligen Ackerbürgerhauses. Die Besiedlung der Ökostadt ist fraglich. Von den 100 Mitgliedern des Fördervereins wollen nur wenige den Umzug in die Uckermark wagen.

Das war in der Nachwendezeit anders, als 1992 der Verein Ökostadt gegründet wurde. Viele vom Stadtmief angenervte Westberliner träumten vom Leben auf dem Lande. Die Finanzierung der Ökosiedlung auf der grünen Wiese sollte eine Genossenschaft sichern. Etwa 20 Leute haben bisher ihren Pflichtanteil von 2.500 Mark eingezahlt. Das Verhältnis zwischen Ostlern und Westlern im Verein ist inzwischen ausgeglichen.

Der ehemalige Marxismus-Leninismus-Philosoph von der Humboldt-Uni und jetzige Ökosiedler Klaus-Peter Kurch renoviert täglich mit Genossenschaftlern das Haus im Zentrum von Lychen, in dessen Hinterhof die bürgerlichen Bewohner einst Landwirtschaft betrieben. Der Verein hat das Grundstück im Dezember 1996 gekauft. Zusätzlich erledigt Kurch Vereinsarbeit am PC, bewirtschaftet den Garten mit den Mirabellenbäumen und hackt Brennholz. Gerade führt er eine Touristin durch die Baustelle. Im ersten Stock, wo Privatwohnungen geplant sind, blättern noch Tapeten von den Wänden. Der Dachboden, auf dem jetzt ein paar Bündel Zitronenmelisse einsam vor sich hintrocknen, soll ein Meditationsraum werden. Im staubigen Erdgeschoß ist ein Kulturcafé geplant. Gewinn erwirtschaften soll das für den Seitenflügel geplante Rucksackhotel. Noch stapeln sich aber im Erdgeschoß des Haupthauses Hunderte von leeren Glasflaschen, die die Ökostädter aus Glascontainern zusammengeklaubt haben. Zur ökologischen Wärmedämmung werden diese in den Boden eingelassen und mit einem Stampflehmfußboden abgedeckt. Auf dem ehemaligen Ziegenstall wird eine Solaranlage installiert.

Im Jahr 2000 soll alles fertig werden. Aber auch dann gibt es nicht unbedingt eine Landkommune. Mit Peace and Love und Hippieleben haben die Ökostädter nichts am Hut. Bisher bestehen sie auf getrennten Einkünften und Schlafzimmern. Immerhin gibt es ein Marmeladenglas, in das jeder, der auf der Baustelle in Lychen werkelt, täglich zehn Mark Essensgeld einzahlt. Was passiert, wenn das Projekt weiter fortgeschritten ist, sei ja noch offen, lacht Kurch. „Man muß sehen, wie sehr die Leute Lust haben zu spinnen.“

Lychens Stadtverwaltung war zunächst skeptisch gegenüber den Neuankömmlingen, die ein ökologisches Projekt planten. Arbeitsplätze für die wirtschaftlich schwache Region konnten die Alternativen aus Berlin schließlich auch nicht versprechen. Da geschehe „viel Lärm um wenig“, meint die zuständige Verwaltungsbeamtin Eveline Wienold. Die einheimische Bevölkerung stehe den Berlinern weiter „verhalten“ gegenüber. Trotzdem lobe so mancher Bewohner des Ortes die sanierte Fassade des Ackerbürgerhauses. „Das geht uns natürlich runter wie Öl“, erzählt Kurch stolz. Zur 750-Jahr-Feier Lychens beteiligt sich Ökostadt auch an Kulturveranstaltungen. An der Pinnwand im Flur des Hauses kündigt ein Aushang eine Ausstellung skandinavischer Künstler an, die die Ökostädter organisieren.

Die Ökostädter sind jedoch nicht nur im Zentrum von Lychen aktiv. Schließlich träumen sie nach wie vor von der ökologischen Großsiedlung. Auf einem Gelände eines ehemaligen Sanatoriums der Sowjetarmee in Hohen-Lychen könnte dieser Traum wahr werden. Fast schüchtern zeigt Kurch auf die 2.800 Quadratmeter große Fläche mit Zugang zum Stadtsee, die der Verein bereits gekauft hat. Dort soll aus Holz, Lehm und Recyclingmaterial eine ökologische Reihenhaussiedlung mit Gemeinschaftshaus, Solaranlage, Regentonne und weitgehender Selbstversorgung entstehen. Ein einsamer Bagger harrt nun der Siedler, die da kommen sollen. Ein schnauzbärtiger Wachdienst mit Schäferhund zieht im Nieselregen seine Runden. Erst drei Familien wollen auf dem Gelände bauen. Mit Zeitungsannoncen suchen die Ökostädter nun weitere Interessenten. Schließlich sollen dort mindestens zehn Wohneinheiten entstehen.

Daß auch so viele der Vereinsmitglieder davor zurückschrecken, nach Lychen zu ziehen, frustriere ihn nicht, sagt Klaus-Peter Kurch tapfer, auch wenn es manchmal Streit um Verbindlichkeiten gebe. „Ich bin beruflich und familiär in Potsdam gebunden“, begründet Eckart Gowen, Jurist und Vereinsmitglied seine Zurückhaltung. Er plane Ökostadt längerfristig als Feriendomizil ein. Der arbeitslose Biologe Philip Jacobs meint: „Man hat seine Kumpels in Berlin.“ Er fände in Lychen keinen Job. Darum bleibt er vorerst in Prenzlauer Berg wohnen.

„Es gibt in der Gegend keine Arbeit für junge Menschen“, erklärt auch Marianne Häuser. Deswegen beteiligten sich am Projekt vor allem ältere Leute. Sie sitzt am großen Tisch vor dem Ackerbürgerhaus und schält selbstgeerntete Zwiebeln für das Mittagessen. Daß sich aber auch die Erwerbslosen unter ihnen – immerhin fast ein Drittel – nicht trauten, nach Lychen zu ziehen, versteht die Ökostäderin nicht. Die 49jährige Tischlerin mit langjähriger Schöneberger Projekteerfahrung arbeitet seit April im Ackerbürgerhaus. Der Stundenlohn von zehn Mark reiche aus, um ihre Wohnung, die sie im Ort gemietet hat, zu bezahlen. Mit dem niedrigen Lohn hat sie sich abgefunden, weil „man hier sowieso kein Geld ausgeben kann“.

Die Entscheidung „Raus aus Berlin und in die Natur“ habe sie bisher nicht bereut, auch wenn die Ausbeute aus dem Ökostadt-Garten zum Selbstversorgertum nicht ausreiche. „Das Knoblauchbeet war in einer Woche alle.“ Ihre Freunde aus Berlin sieht sie am Wochenende. Daß sie momentan nur mit Männern auf der Baustelle arbeite, sei zwar ein Problem, meint sie und rümpft forsch die Nase, aber immerhin habe sie durchgesetzt, daß jeder mal mit Kochen an der Reihe ist. Kirsten Küppers

Infoabend für Interessierte an jedem 3. Mittwoch des Monats um 19 Uhr im Ökostadt-Büro in der Danziger Straße 219 in Prenzlauer Berg. Besucher der Ökostadt sollten unter 030/4235953 anrufen oder bei Klaus-Peter Kurch, Vogelgesangstraße 4, 17279 Lychen, Telefon 039888/4195.