„Ju kän sej ju tu mi“

Ohne Sprachkenntnisse läuft nichts mehr. Sprachen lernen schon in der Grundschule ist im Kommen, später bleibt nur mühsame Weiterbildung  ■ Von Lutz Göllner u. Karin Hahn

Sej ahr häwi onn se weiher“, wußte schon Altbundespräsident Gustav Lübke der englischen Queen bei deren Staatsbesuch in den 50er Jahren zu flüstern, als die Ehrengarde der Bundeswehr abgeschritten wurde, „Sie sind schwer auf Draht“. Und auch sein Enkel, Kanzler Kohl, spricht Englisch nach eigener Angabe nur passiv und ansonsten nur Pfälzisch.

Was bei den Politikern noch gut geht, kann den normalen Arbeitnehmer schon mal die Aufstiegschancen kosten. Eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelstages bei 1.500 Firmen ergab: 3.500 Mitarbeiter kommen in ihrem Beruf nicht ohne Sprachkenntnisse in Englisch aus, 1.000 müssen Französisch können, dann folgen Spanisch, Italienisch, Russisch, Japanisch und Schwedisch. Kein Wunder, daß sich der Fremdsprachenmarkt zu einem veritablen Markt entwickelt hat: Inzwischen gibt es in Deutschland mehr als 3.000 Sprachschulen, rund 2,5 Millionen lernbegierige Bundesbürger belegen dort pro Jahr wenigstens einen Kurs. Fremdsprachen sind schon lange nicht mehr nur Kommunikationsmittel, sondern zunehmend auch ein Marketing-Element für Führungskräfte. Wer Sprachkenntnisse vorweisen kann – besser sind natürlich Auslandsaufenthalte –, hat in einem Betrieb erheblich bessere Aufstiegschancen. Entsprechend teuer sind Intensivkurse, die ein schnelles und effektives Lernen garantieren. 900 Mark pro Tag kostet der „Total-Immersion-Kurs“ der Berlitz-Schulen, der zweitgrößten privaten, überregionalen Sprachschule. Dafür bekommt man zwei Wochen lang täglich zehn Stunden Einzelunterricht bei vier verschiedenen Lehrern. Nach zwei Wochen, so verspricht der Berlitz- Prospekt, beherrscht der Absolvent die Sprache gut.

Etwas preiswerter, für 120 Mark monatlich, kann man Sprachen an den Volkshochschulen erlernen. Dafür sitzt man in Gruppen von bis zu 20 Personen. Lernen in der Gruppe macht manchem mehr Spaß und ist weniger anstrengend, erzählt Eva Thelander, Schwedischlehrerin von der „Lernbrücke“. Einzelunterricht ist dagegen intensiver, man lernt die Grammatik schneller. Kurse mit bis zu fünf Schülern gelten in dem Schöneberger Verein, der auch Deutsch für Ausländer anbietet, als ideal. Kommerzielle Sprachschulen wie Berlitz, Inlingua und Linguarama schwören auf Crash- Kurse und Einzelunterricht. Methoden, wie das Superlearning von Audio-Kassette oder CD-ROM gelten bei allen Anbietern bestenfalls als unterstützende Praktik.

Ein ähnliches Konzept wie die Lernbrücke – Sprachen lernen durch einen kommunikativen Ansatz – verfolgt auch die Kultusministerkonferenz (KMK) in ihrem Beschluß zur „Hinführung zur Mehrsprachigkeit“. Entsprechend den Empfehlungen der KMK entwickeln die Bundesländer bereits seit einigen Jahren Modelle, um Schüler schon in der Grundschule an Fremdsprachen heranzuführen. Die Didaktik ist auf die Bedürfnisse der Grundschule zugeschnitten, die Kinder lernen eine Fremdsprache vorwiegend mündlich, auf spielerische Weise. Erst später, ab der dritten Klasse, werden sie systematisch an die fremde Sprache herangeführt, pauken Grammatik und müssen unregelmäßige Verben büffeln. „Im Grundschulalter läuft der Spracherwerb noch ähnlich wie bei der Muttersprache“, sagt Reinhold Freundenstein, Erziehungswissenschaftler an der Universität Marburg. Doch gerade dieser frühkindliche Spracherwerb wird an den Grundschulen zu einem organisatorischen Problem. Für den Unterricht gibt es kaum Fachlehrer. Die Lehrer rekrutieren sich aus dem normalen Lehrkörper und fehlen in anderen Fächern. Pädagogische Materialien und eine spezielle Didaktik sind erst in einigen Bundesländern ausgearbeitet.

Ein besonderes Modell der Fremdsprachenfrüherziehung erproben die staatlichen Europaschulen seit 1993 in Berlin. Sie sind nicht zu verwechseln mit den Europäischen Schulen, die unter Federführung des Obersten Rates der Europäischen Schulen für die Kinder der EU-Bediensteten betrieben werden. Die Berliner Europaschulen wollen die Zweisprachigkeit durch den Kontakt mit Muttersprachlern zusätzlich fördern. Schüler zweier unterschiedlicher Muttersprachen lernen von der Vorklasse an spielerisch die Sprache und Kultur der jeweils anderen Nation. Ein Konzept der bikulturellen Erziehung.

Bisher gibt es in Berlin zwölf solcher Schulen, als Eliteanstalten verstehen sie sich ausdrücklich nicht. Pädagogischer Hintergrund für sie ist neben dem frühzeitigen Erwerb einer Fremdsprache für deutsche Kinder, die Idee, daß ausländische Kinder Deutsch leichter erlernen, wenn sie zunächst in ihrer Muttersprache alphabetisiert werden. Ein Gedanke, der sich in der Praxis bewährt.

Neben derlei Modellen zur zweisprachigen Erziehung im Grundschulalter gibt es an weiterführenden Schulen immer mehr bilinguale Züge. Vor allem an Gymnasien, zunehmend auch an Real- und Gesamtschulen. Dort wird ab der 7. Klasse eine Fremdsprache intensiver unterrichtet, ab Klasse 9 läuft der Fachunterricht in Erdkunde, Geschichte, Politische Weltkunde und Biologie in der jeweiligen Fremdsprache. Die Abiturprüfung können die Schüler teilweise in dieser Sprache machen. Da hätte der Kanzler heute keine Chance mehr. Die Anforderung lautet: entweder Fremdsprache oder Hochdeutsch.