Wohliges Wasser

■ Warnemünde: Wo früher der DDR-Feriendienst die Klientel aussuchte, wird nun mit Thalassotherapie und Wellness geworben

Der Fahrradtacho zeigt 27 Stundenkilometer an. Ein junger Mann starrt auf sechs Fernseher. Dort tobt, für andere nicht hörbar, eine Band. Mechanisch treten seine Füße – doch er kommt keinen Millimeter voran. Nicht anders geht es einer Frau in seinem Rücken, die mit rot-lila Bustier und Shorts bekleidet auf einem Fließband gegen die Fettkringel über ihrer Taille anrennt. Beide tun etwas für ihre „Wellness“, wie es seit ein paar Jahren im Hotel Neptun in Warnemünde bei Rostock heißt. 17 Millionen Mark hat die von Wessis übernommene Deutsche Seereederei investiert, um aus dem realsozialistischen Klotz direkt am Meer eine Fitneßunterkunft der gehobenen Preisklasse zu machen. Wo früher fast ausschließlich der Feriendienst der DDR-Gewerkschaft bestimmte, wer sich in eines der damals 760 Betten legen durfte, sollen jetzt ausgefallene Angebote neue Kundenschichten anlocken. „Wir waren das erste Haus, das in Deutschland die Thalassotherapie angeboten hat“, sagt die für Werbung zuständige Marina Stark. Für 1.848 Mark können die Gäste nicht nur sieben Mal übernachten, sondern auch mehrmals in wohlig warmem Meerwasser ruhen. Das wurde mit grüngelben Algen angereichert, die allerdings nicht aus der Ostsee, sondern aus dem Atlantik stammen. Die Meerespflanzen sollen den Abbau von Fett- und Giftstoffen beschleunigen, so verspricht der Hotelprospekt, der auch gleich eine Algenpackung fürs Gesicht empfiehlt. Zusätzlich können die TeilnehmerInnen des Schönheitsprogramms unter Anleitung eines Klimatherapeuten am Strand spazierengehen, in der Sauna mit Blick aufs Meer schwitzen oder einen poppig-bunten „Wellness“-Saft genießen. Zwischendurch gibt's nach Beratung mit einem Sporttherapeuten Übungen an den Maschinen im Fitneßstudio und in den Erholungspausen einen Besuch in der duftenden Entspannungsoase, wo über Kopfhörer harmonische Musik und ermutigende Sprüche zu hören sind.

Eine Diplomernährungsberaterin steht dem Küchenchef zur Seite und paßt auf, daß er den mühsam abtrainierten Fettpolstern nicht neuen Zuwachs verschafft. „Das Programm wird sehr gut angenommen“, versichert Marina Stark. Neben den Hotelgästen tummeln sich auch 700 Clubmitglieder aus der Umgebung regelmäßig in den 1.500 Quadratkilometer großen Fitneßräumen. Andere Besucher Warnemündes ärgern sich dagegen über das 64 Meter hohe weiße Haus, das sich Anfang der 70er Jahre wuchtig vor die Jugendstilhäuser gepflanzt hat und auch nicht unbedingt zu dem romantischen Hafenambiente der Stadt paßt. Doch auch für ruhige Naturliebhaber sei Warnemünde ein idealer Erholungsort, versichert Thomas Keller vom Bäderverband Mecklenburg-Vorpommern und empfiehlt sogleich eine Klima- und Atemtherapie auf einem der elf „Terrainkurwege“. Die sollen in unterschiedlichem Tempo durchschritten werden – regelmäßiges Pulsmessen durch einen Therapeuten inklusive. Doch auch ohne Begleitung sind diese Pfade eine ideale Entspannung für Geist, Seele und Körper – denn sie führen raus aus der Stadt durch Eichenalleen und Birkenwälder, deren Boden von Farn bedeckt ist, vorbei an moorigen Gräben und Sommerwiesen. An den fast menschenleeren Stränden gibt es Meerwasser ohne Ende – nicht angewärmt, aber kostenlos. Annette Jensen