Die Angst vor neuen Kämpfen wählt mit

In Kambodscha ist das Ergebnis der morgigen Parlamentswahlen völlig offen. Die Opposition und Friedensaktivisten kämpfen gegen die Einschüchterung der Partei Hun Sens und setzen auf ein gewachsenes Bewußtsein  ■ Aus Phnom Penh Jutta Lietsch

Vann Sivon greift in ihre Umhängetasche und steckt einer jungen Bäuerin eine kleine Broschüre zu. Die Frau lächelt etwas erschrocken und nimmt das Heft zu den Flugblättern, die ihr zuvor ein Mönch gegeben hat: „Wir wollen gewaltlose Wahlen“, steht darauf, und „Frieden bringt Wohlstand, Gewalt schafft Armut“.

Zum ersten Mal seit dem Putsch im vergangenen Juli wählen am Sonntag 5,4 Millionen KambodschanerInnen ein neues Parlament. Die 34jährige Sivon hat nur eine Hoffnung: Daß, wer auch immer gewinnt, Frieden bringt, und daß nicht wahr wird, was sie in ihrer Heimatprovinz Banteay Meanchay im Westen Kambodschas gehört hat: „Die Milizen haben schon Waffen für den Fall versteckt, daß ihre Parteien verlieren. Alle haben Angst vor neuen Kämpfen.“

Um gegen die Angst zu kämpfen, die sich nach Jahrzehnten von Krieg und Gewalt in die Seelen der Kambodschaner gefressen hat, hat Sivon ihren Gemüsestand auf dem Markt von Sisophon geschlossen und ist in die Provinz Takeo im Süden Phnom Penhs gefahren, um sich dem Friedensmarsch des buddhistischen Mönchs Maha Gosanandha anzuschließen. Sechs Tage lang ist sie mit mehr als 200 Mönchen, Nonnen und Friedensaktisten gelaufen, bis sie gestern in der Hauptstadt ankam.

Nicht zufällig hat der 74jährige Maha Gosanandha, der schon mehrfach für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde, den Weg durch die Provinz Kandal zur Hauptstadt gewählt: Hier, in der Heimat des zweiten Premierministers Hun Sen, des mächtigsten Mannes in Kambodscha, versuchten die Kader der herrschenden Volkspartei (CPP) in den letzten Wochen besonders eifrig, Kandidaten und Wähler mit Morden, Drohungen und Bestechungen einzuschüchtern.

Gemeindevorsteher, die fast fast ausschließlich der CPP angehören, verteilten nicht nur Geschenke, um ihre „Dankbarkeit“ zu erkaufen. CPP-Funktionäre luden auch Bauern in den Tempel ein und ließen sie dort in einer düsteren Zeremonie aus einem Glas Wasser trinken, in dem eine Gewehrkugel lag. Danach mußten die Bauern versprechen, die CPP zu wählen. Furcht schuf zudem die „Fingerabdruckkampagne“ der Partei Hun Sens: Die Bewohner sollten sich angeblich mit einem Daumenabdruck für die Wahlen registrieren lassen – und erfuhren, daß sie nun Parteimitglieder waren. Dazu machen Gerüchte und Drohungen die Runde wie: „Die Wahlzettel sind numeriert“, „Kugelschreiber in den Wahlkabinen senden Strahlen zu Satelliten im Himmel“, „Unsichtbare Kameras filmen alles...“

Dennoch: „Ich glaube nicht, daß die Einschüchterungskampagne wirkt“, sagt Kim Leng, Nichte von Maha Gosanandha und Organisatorin des Friedensmarsches. Vor fünf Jahren, als die Uno die ersten freien Wahlen nach den Regimen der Roten Khmer und der vietnamesischen Besatzung organisierte, erzielte Hun Sens CPP nicht einmal die Hälfte der Stimmen – obwohl der Wahlkampf damals weit blutiger war. Heute seien sogar die ärmsten Bauern besser informiert, obwohl mehr als die Hälfte der Bevölkerung Analphabeten sind, meint ein Anwalt. „Selbst in den entlegensten Dörfern haben sie mittlerweile ein Radio, und sie hören Voice of America.“ Aber auch die amtliche Wahlkommission hat in den letzten Wochen im staatlichen Fernsehen und Radio immer wieder verkündet: „Die Wahlen sind geheim.“

Basil Fernando vom Asiatischen Menschenrechtszentrum in Hongkong, der als Wahlbeobachter angereist ist und Anfang der 90er Jahre in Kambodscha gearbeitet hat, glaubt, „daß die Regierung die Leute nicht mehr so stark im Griff hat“. Zudem hat der Druck internationaler Geldgeber, die nicht nur die Wahlen, sondern auch 40 Prozent des Staatshaushaltes finanzieren, die Behörden offenbar zur Zurückhaltung bewogen. So kamen in den vergangenen Tagen Zehntausende zu den Wahlveranstaltungen der beiden stärksten Oppositionspolitiker, dem 1997 aus dem Amt geputschten Prinzen Norodom Ranaridhh, und dem Ex-Finanzminister Sam Rainsy. Für die 122 Parlamentssitze bewerben sich insgesamt 39 Parteien.

Nachdem Hun Sen die Kandidatur des Prinzen erst im Frühjahr und nur durch Druck des Auslands akzeptierte, machte der Sohn von König Sihanouk ein geradezu erstaunliches Comeback. Vor allem auf dem Land hat seine Funcinpec- Partei, die einst der beliebte König gründete, viele Anhänger. In Phnom Penh hat Sam Rainsy gute Aussichten, die meisten Stimmen zu gewinnen. Seine Partei zieht vor allem die winzige Mittelschicht und die Händler und ArbeiterInnen an. Sie sind ihm dankbar, weil er ihnen gegen korrupte Behörden half und Streiks gegen Hongkonger und Taiwaner Textilfabriken organisierte, bis die ihre Löhne erhöhten.

Das Wahlergebnis ist völlig offen: Fest steht, daß Hun Sen auch in Zukunft nicht allein regieren kann. Nach der Verfassung braucht er zwei Drittel der Sitze, um die Regierung zu bilden. Er muß eine Koalition mit mindestens einer der beiden großen Oppositionsparteien bilden. Doch ob er bereit ist, einen Teil seiner Macht abzugeben, bezweifeln viele. „Freiwillig gibt er die Macht niemals ab“, fürchtet ein Angestellter in Phnom Penh, „eher schießt er alles zusammen.“