Kritik an ungeordneter Rückkehr

■ Nach den Abschiebungen bosnischer Flüchtlinge treten viele nun überstürzt und unvorbereitet die Heimkehr an. Hilfsorganisationen befürchten Verdrängung von Binnenflüchtlingen

Kritik an der Abschiebung von bosnischen Flüchtlingen und der dadurch verstärkten, ungeordneten Rückkehr haben jetzt auch Vertreter von Caritas und Diakonie in Sarajevo geübt. „Der große Abschiebedruck auf die Flüchtlinge in Deutschland trägt dazu bei, daß in Bosnien geschehendes Unrecht zementiert und neue soziale Spannungen heraufbeschworen werden“, sagt Jörg Kaiser, Leiter der Informationsstelle für Rückkehrer von Caritas und Diakonie in Sarajevo.

„Die Abgeschobenen an sich verursachen bisher keine großen Probleme, weil ihre Zahl nicht so sehr hoch ist“, sagt Kaiser. Sie würden von Mitarbeitern des UNO- Flüchtlingskommissariats vom Flughafen in Sarajevo in sogenannte Transitzentren gebracht, wo sie einige Tage bleiben können. Um den weiteren Aufenthalt müßten sie sich dann jedoch selbst kümmern.

Das eigentliche Problem sind nach der Einschätzung Kaisers vielmehr die Rückkehrer, die unter dem Eindruck der Abschiebungen überstürzt und unvorbereitet heimkehren: Die mittlerweile „unkontrollierte und nicht mehr überschaubare Rückkehrwelle in eine politisch, sicherheitspolitisch und sozial völlig instabile Situation“ sei durch den „unerträglichen Druck in Deutschland“ ausgelöst, so sein drastisches Urteil. Frei werdende Plätze in Flüchtlingslagern würden direkt von Rückkehrern aus Deutschland besetzt, obwohl es dort weder genügend Hilfeleistungen noch irgendwelche Perspektiven gebe. Zahlen, um wie viele Rückkehrer es sich handele, konnte er jedoch nicht nennen.

Wegen der immensen Wohnungsnot in Bosnien drohen die Rückkehrer Binnenflüchtlinge zu verdrängen. Denn erstere, die mit einer finanziellen Starthilfe ausgestattet in Bosnien eintreffen, können höhere Mieten zahlen als Binnenflüchtlinge. Die rund 800.000 Binnenflüchtlinge in Bosnien verlieren zudem nach drei Jahren ihr temporäres Wohnrecht an Orten, an denen sie zuvor nicht ansässig waren.

Als Beispiel nennt Kaiser die rund 3.100 Berliner BosnierInnen aus der Republik Srpska, die im Rahmen des Rückkehrprogrammes des Senats pro Familie bis zu 9.000 Mark erhalten haben und jetzt nach und nach zurückkehren. Doch: „Die allermeisten können nicht zurück in die serbische Teilrepublik. Ihr Leben ist dort bedroht“, sagt Kaiser. Deswegen würden viele der Flüchtlinge nach Tuzla im Norden der bosnischen Föderation nahe der Srpska ziehen. In Tuzla komme es zu einem Dominoeffekt: Die Rückkehrer würden, so Kaiser, Binnenflüchtlinge aus den ohnehin schon knappen Wohnungen vertreiben. „Das führt zu immensen sozialen Konflikten“, so Kaiser. Täglich komme eine „Flut“ von RückehrerInnen in die Büros der Hilfsorganisationen und frage nach Rat. Die Betroffenen verfügten in aller Regel nicht über eine Unterkunft, Arbeit oder Sozialleistungen. Kaiser schätzt, daß lediglich 10.000 bis 15.000 Häuser und Wohnungen im vergangenen Jahr wieder bewohnbar gemacht worden sind.

Der Bosnienbeauftragte der Bundesregierung, Dietmar Schlee (CDU), weist die Kritik der Caritas und Diakonie zurück. Mit der Regierung der Republik Srpska sei erst vor ein paar Tagen eine Vereinbarung geschlossen worden, nach der Übergriffe auf Rückkehrer gemeldet werden müßten, so Hartmut Reichel, koordinierender Mitarbeiter des Schlee-Stabs.

Auch Barbara John ist skeptisch: Sie stehe mit der International Organisation for Migration (IOM), die die Rückkehr der Flüchtlinge überwache, im ständigen Kontakt. „Von diesen Verdrängungsproblemen in Tuzla wurde mir noch nichts erzählt.“ John geht davon aus, daß mindestens 30 Prozent der Berliner Rückkehrer langfristig in die Srpska zurückkehren werden. Julia Naumann