Ja zum Kopftuch

■ betrt.: „Die Schule ist kein Bank schalter“ von Birgitt Bender, stellv. Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen im baden- württemberischen Landtag, taz vom 20. 7. 98

Birgitt Bender sitzt einem Denkfehler auf. [...] Sie tut so, als sei der Islam ein politischer Standpunkt über den sich diskutieren ließe. Das ist ein Irrtum. Über Religionen läßt sich schwer streiten. Diskussionen über das Für und Wider einer Religion sind ein schwieriges Terrain. Wer zum Beispiel im Kopftuch ein eindeutiges Zeichen für die Unterdrückung der Frau sieht, kennt sich mit dem Islam meist wenig aus und bereitet mit halbwahren Behauptungen den Boden für Vorurteile und Intoleranz. Trüge Fereshta Ludin auf ihrem Kleid die Farben einer politischen Partei, wäre Benders Argumentation stimmig. So nicht.

Um ihr Argumentation zu stützen, vergleicht Bender das Tuch an Ludins Kopf mit dem Kruzifix an der Wand eines Klassenzimmers, das sie ebenfalls ablehnt. Auch hier ist ihre Argumentation unlogisch. Das Kruzifix im Klassenzimmer ist die hierarchische Äußerung einer mächtigen Institution, die ihren Schützlingen gegenüber eine religiöse Ermahnung ausspricht. Das Tuch am Körper der Lehrerin verbildlicht lediglich die kulturelle Identität eines einzelnen Menschen und will niemanden von irgend etwas überzeugen.

Ludins Kopftuch erregt die Gemüter. Kein noch so auffälliges Kreuz am Hals einer Lehrerin könnte ähnliche Emotionen wecken. Ludins Kopftuch ist für Birgitt Bender ein „demonstrativer Akt“, die die „Grenze des Tolerierbaren überschreitet“. Für diese Emotionen kann weder das Kopftuch noch Fereshta Ludin etwas. Diese Emotionen zeigen lediglich, wo man die Grenzen der Toleranz in diesem Land zur Zeit verorten muß. Olaf Wahls, Bremen

[...] In verschiedenen Artikeln wird das Kopftuch als politisches Symbol gesehen und erwähnt, daß „das Tragen des Kopftuches nicht zu den religiösen Pflichten einer Muslimin gehören“ würde. Wenn man für die Bildung des Landes verantwortlich ist, sollte man auch über dieses Thema richtig informiert sein. Eine grundsätzliche Information über den Zentralrat der Muslime in Deutschland wäre an dieser Stelle sicherlich besser gewesen, als sich von zweifelhaften Experten beraten zu lassen.

In Kapitel 33/59 und 24/31 des Korans sagt Gott den Frauen, daß sie ihren Kopf bedecken sollen. Dies zeigt deutlich, daß das Kopftuch kein politisches Symbol ist. Nicht vor allzu langer Zeit trugen hierzulande auch die Christinnen ein Kopftuch. Nach dem Zustrom ausländischer Arbeitskräfte wollte man sich aber von diesen distanzieren.

Das Kopftuch sollte aus religiöser Überzeugung freiwillig getragen werden, da es im Islam keinen Zwang im Glauben gibt (siehe Koran 2/256). Dieses Gebot gilt uneingeschränkt für alle muslimischen Frauen. Schade, daß ein Quadratmeter Stoff für den Landtag eine Gefahr darstellt. Die aktive Gewalt unter Schülern scheint dagegen schon zum Alltag zu gehören.

Die Diskussionsgrundlage des Landtages hat uns sehr enttäuscht, da wir als Deutsche in einem demokratischen Land das Recht auf freie Entscheidung persönlicher Angelegenheiten besitzen. Sollte ein Präzedenzfall geschaffen werden, befürchten wir negative Auswirkungen auf die Industrie, was einem Berufsverbot gleichkommt oder uns in unterqualifizierte Arbeitsplätze verdrängt. Vergessen sollte man nicht Artikel 3 und 4 des Grundgesetzes, die allen Menschen, egal welcher Religion sie angehören, keine Benachteiligung verspricht und die freie Ausübung seiner Überzeugung gewährleistet.

Seit wann verlangt die Toleranz das Aufgeben der eigenen Überzeugung? Carola Mansour, 1. Vors.

des Unabhängige Deutschspra-

chige Muslimische Frauen e.V.,

Altbach

[...] Die Argumente sind lächerlich. Das eine: in der Schule seien religiöse und politische Überzeugungen zu diskutieren, ein Symbol verhindere dies. Merkt Frau Bender nicht, daß sie gerade von der öffentlichen Diskussion widerlegt wird? Offenbar scheint das Symbol sogar gerade den Diskurs herauszufordern. Außerdem: Das Tragen eines Symbols sagt nichts über die Diskussionsfreudigkeit der Trägerin aus.

Das andere, der Vergleich mit dem Kruzifixurteil hinkt: Das an der Wand hängende Kruzifix ist im Gegensatz zum Kreuz an der Halskette oder dem Kopftuch kein persönliches Bekenntnis, sondern eine staatliche Positionsbestimmung. Aus der staatlichen Neutralität abzuleiten, eine Lehrerin müßte in ihrer persönlichen Erscheinung ebenfalls neutral sein, ist nicht stimmig.

[...] Die Zeit, daß bewußt mit persönlichen Symbolen Protest ausgedrückt wurde (Ministervereidigung in Turnschuhen), scheint vorbei. Die neugrüne Gesinnungspolizei nähert sich der konservativen Eliminierung von Abweichungen und, besonders perfide, verwendet dabei die Ziele der sozialen Bewegungen gegen sie selbst: Gleichberechtigung der Frauen oder Kinderrechte gegen Persönlichkeitsrechte. Wenn etwas verändert werden soll, liebe Konservativ-Grüne, bedarf es noch ganz anderer „Zumutungen“ und Irritationen der Gesellschaft als das Kopftuch einer Referendarin. Alexander Brandt, Bielefeld

Es macht mich betroffen, wie leichtfertig jetzt auch schon Bündnis 90/ Die Grünen über Individualrechte glauben abstimmen zu können. Wieso hält ausgerechnet die Partei, die sich bisher im Asylrecht, beim Lauschangriff, Volkszählung usw. für die Rechte des einzelnen engagiert hat, plötzlich das bloße Tragen eines Kopftuches im Namen der Toleranz für nicht tolerierbar?

Hier lüpft der falsch verstandene Feminismus seinen Schleier der Gleichberechtigung und hervor tritt die Emanzipation auf Verordnung. Ein Recht unterscheidet sich aber von einer Pflicht dadurch, daß darauf verzichtet werden kann. Frauen haben das Recht, einem Beruf nachzugehen und sich ohne Kopftuch zu kleiden, müssen tun sie es in Deutschland nicht. Lehrerinnen in Kopftüchern, etliche Hausfrauen, manche Hausmänner, Nonnen und Priester, Menschen, die in Schaufenstern leben, auf Pfählen fürs Guinness- Buch sitzen oder im Internet ihre Unschuld verlieren, sie alle sind der Beweis, daß der freiwillige Verzicht auf elementare Rechte für den einzelnen den Weg zur Zufriedenheit und Selbstverwirklichung bedeuten kann. Ich weiß nicht, warum Schülerinnen und Schülern diese Erkenntnis verheimlicht werden sollte. Daniel Soll, Marburg

[...] Die Hinderung einer verschleierten Frau an der Aufnahme ihrer Lehrtätigkeit wird nicht den sozialen Frieden schützen, sondern kontraproduktiv wirken. Das friedliche Zusammenleben kann nur gewährleistet werden, wenn man sich an die verankerten Normen und Werte hält. Und dazu gehören gewisse Freiheiten, unter anderem die Religionsfreiheit, die als unveränderliche Menschenrechte im Grundgesetz festgeschrieben wurden. Wenn diese ausgehöhlt und übergangen werden, dann erst ist der soziale Friede in Gefahr! Und das kann nicht oft genug betont werden. Raida Chbib