Täglich eine Geschichte aus dem Alltag

■ Was die brustfixierten Reisemagazine der Privatsender verpassen: Die Sommerreihe des arte-Magazins 7 1/2 macht ab heute täglich eine Reise für den Kopf. Ein Trost für alle, die nicht verreisen können

Vor über dreißig Jahren sind die Rasta nach Shashaméné gekommen. Nur wenige haben die lange Reise von Jamaika nach Äthiopien angetreten. Doch wer im gelobten Land ankam, will nicht mehr zurück. Gelobt ist Shashaméné, weil Ras Tafari, der Friedensprinz, ihnen das Land geschenkt hat. Den Friedensprinzen hat es wirklich gegeben. Der Messias der Rastafaris war der Kaiser von Äthiopien, seine Majestät Haile Selassie. Er rief die Schwarzen in der Welt auf, sich gegen die Unterdrückung der Weißen zu wehren und wieder nach Afrika heimzukommen.

Frederic Tonolli hat die kleine Gemeinschaft der Rastafaris in Shashaméné besucht und über jene, die dem Ruf nachkamen, eine großartige Reportage gedreht. Tonollis 26minütiger Film „Die letzten Rasta“ (heute abend) berichtet unprätentiös und keineswegs besserwisserisch von damals, als Haile Selassie vor der UN-Vollversammlung seine berühmte Rede hielt. Und von heute, von seinen letzten Jüngern in Shashaméné, einem Dorf, in dem Holzhäuser gebaut und Gemüse gepflanzt werden wie in anderen afrikanischen Dörfern auch, in dem aber mehr Bob Marley gehört und mehr heiliges Gras geraucht wird als sonst in Afrika. „Rauch steigt aus seiner Nase auf, so steht's in der Bibel“, sagt der Dorfälteste, und kiffend sitzt er auf einem Baum.

Nach all den immergleichen Alk-Sex-Party-Strand-Top-Summer-Holiday-Stories im diesbezüglich gar nicht so privaten Fernsehen, deren ermüdende Schnitt- Schnitt-Ästhetik längst auch die öffentlich-rechtlichen Reiseberichte bestimmt, bietet das Arte- Magazin 7 1/2 in den letzten Wochen vor seiner Abwicklung ein abwechslungsreiches Gegenprogramm zum öden Erlebnis-TV.

Statt echte Sensationen wie den Brustumfang der Lokalschönheiten auszubreiten, erzählen die „Sommer-Reportagen“ von Arte täglich eine Geschichte aus dem Alltag eines fernen oder weniger fernen Landes.

Zum Beispiel von der Straße der Clowns in Rumänien, wo der Clown Miloud den Straßenkindern seine Kunststücke beibringt. Zum Beispiel von der Fernfahrerwirtin Anne von der Raststätte Lohne- Dinklage an der A 1, die Glück und Leid aller Fernfahrer kennt.

Auf den Mitmacheffekt und auf den ganzen Service-Quatsch wurde verzichtet. Die Bilder wecken nicht den Touristeninstinkt, es sind Reisen im Kopf: Wenn die Reportage vorüber ist, rennt man nicht zum nächsten Reisebüro, sondern denkt darüber nach, was man gerade gesehen hat. Was sollte man auch auf einen Autisten-Bauernhof in Frankreich Lustiges erleben wollen? In der Nähe von Auxerre liegt das Gehöft, auf dem autistische Kinder und Jugendliche betreut werden.

Und die Reportage „Therapie auf dem Lande“ (19. August) von Elizabeth Drévillon und Celine Hue ist eine Dokumentation, die am Thema und an den Menschen „näher dran“ ist als manche Kameraverbrecher, die zwar mit der Linse ins letzte Loch spieken, letztlich aber eine völlig leere Kassette in den Schnittraum tragen. Die Nähe der Arte-Autoren ist nicht penetrant. Man hat vielmehr den Eindruck, daß Drévillon und Hue zum Personal dazugehören. Deshalb haben die gefilmten Autisten keine Angst vor der Aufnahme.

Die „Sommer-Reportagen“ sind ein Trost für Leute, die in diesem Jahr nicht verreisen können. Ohne den Streß von Flugreise und Tropenkrankheiten kommt man so in Welten, die auf noch so abenteuerlichen Abenteuerreisen nicht zu entdecken sind. Carsten Otte

Die Reportagen dieser Woche: „Die letzten Rasta“ (heute); „Algerien – Der Zug zur Hoffnung“ (Di.); „Thank you Mister Blair – eine Woche in einem Londoner Hospital (Mi.); „Rumänien: Die Straße der Clowns“ (Do.); „Made in East Germany – Ostware in Westregalen“ (Fr.); dann bis zum 11. September weiter auf Arte, 19.30 Uhr