Bauarbeiter in Todesgefahr geschickt

■ Zwei Türken stürzen beim Abriß der AEG-Halle zu Tode / Sie waren offenbar Schwarzarbeiter im Sold eines Sub-Subunternehmers / Das Gelände wird für ein Einkaufszentrum freigeräumt

In aller Herrgottsfrühe waren die Männer auf das Dach der alten AEG-Werkhalle in Hastedt gestiegen. Dachpappen abreißen, so der Auftrag an die Kolonne aus zehn türkischen Arbeitern. Für zwei von ihnen war der Job in der Dämmerung der letzte: Als sich ein Beton-teil aus der Decke löste und nach innen klappte, stürzten drei Männer 15 Meter tief auf den Betonboden ab, weitere Trümmer begruben die Arbeiter zum Teil unter sich.

Ein 29jähriger Türke aus Bremen starb noch am Unfallort. Sein 25jähriger Kollege aus Ritterhude erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Ein 31jähriger Syrer aus Grasberg überlebte schwerverletzt, gestern abend schwebte er nach einer mehrstündigen Operation noch in Lebensgefahr.

Die Polizei geht davon aus, daß es sich bei den Verunglückten um Schwarzarbeiter handelt. Wie es hieß, hat ein Sub-Subunternehmer der holländischen Industriebaufirma „ten Brinke“, die den Generalauftrag für den Abbruch hat, die Männer aufs Dach geschickt. Die Holländer haben nach eigenen Angaben den Abbruchauftrag an eine Firma BDB aus Berlin vergeben. Die ehemalige Werkhalle der AEG an der Malerstraße soll abgerissen werden, um Platz für das geplante Einkaufszentrum Pfalzburger Straße zu schaffen.

Die Polizei hat gestern den ganzen Tag Kollegen der Männer als Zeugen oder Tatverdächtige vernommen. Denn die Umstände des Unglücks sind einigermaßen dubios. Wie es aus der Umgebung der Baustelle hieß, hätten sich die Trupps anderer Subunternehmer mit Kränen und schwerem Gerät an der Halle zu schaffen gemacht, während die Männer auf dem Dach arbeiteten. Durch diese Erschütterungen, so erste Erklärungsversuche, könnte sich das Deckenteil gelöst haben. Eine andere Version, die der Bauleiter des holländischen Generalunternehmers gegenüber der taz verbreitete, ist, daß die Arbeiter selbst ein Loch in die Decke gestemmt hätten, um dadurch Schutt runterzuwerfen. Dabei soll sich die Betonplatte gelöst haben.

Nun wird untersucht, wer die verschiedenen Subunternehmer koordiniert hat. Wie es hieß, sind neben BDB aus Berlin mindestens drei Subunternehmen, darunter eines aus Potsdam und eines aus Chemnitz, eingeschaltet.

Unklar ist weiterhin, warum die Männer schon um 4.15 Uhr gearbeitet haben. Nach Angaben der Industriegewerkschaft Bau würden Arbeiter zwar im Sommer gerne mal früh am Morgen beginnen, um der Hitze des Tages zu entgehen. Vor sechs Uhr zu arbeiten sei aber sehr ungewöhnlich. Für die Gewerkschaft sind die Umstände des Unfalls ein klassischer Fall von „schädlichen Subunternehmerketten“, bei denen am Ende niemand mehr verantwortlich sei.

Für Bauaufsichtsexperten ist bei solchen Unfällen eine erhebliche Mitverantwortung des Bauunternehmens gegeben: Bevor ein Unternehmer seine Leute ohne Absturzsicherung durch Fangnetze oder Gerüste auf ein Dach schickt, muß er die Stabilität des Gebäudes untersuchen. Geschehe dies nicht, lägen durchaus Straftatbestände vor, hieß es aus der Bau-Berufsgenossenschaft.

Unklar war gestern auch noch, wem das Grundstück gehört, auf dem das Einkaufszentrum gebaut wird. Die Firma Sigma aus Sandstedt hatte im Auftrag der Projektgesellschaft EKZ Pfalzburger Straße die Abrißgenehmigung beantragt und bekommen. Man habe das Gelände aber vor wenigen Tagen weiterverkauft, hieß es. Neuer Eigentümer soll eine Firma Bavaria aus Bayern sein. Joachim Fahrun