„Dem Stammtisch Signale gesendet“

■ Christoph Ehmann, Ex-SPD-Staatssekretär, über die Thesen seiner Partei zur Jugendkriminalität. Sein Vorwurf: Mangelnde Sachkenntnis

Christoph Ehmann (55) war von 1994 bis 1997 als SPD- Staatssekretär für Kultur in Mecklenburg-Vorpommern auch für Jugendpolitik zuständig. Er berät das Deutsche Jugendinstitut in München.

taz: Herr Ehmann, nähert sich die SPD mit ihren jugendpolitischen Thesen der CDU an?

Christoph Ehmann: So drastisch sehe ich das nicht. Aber die Forderung nach geschlossener Unterbringung und der Anwendung des Erwachsenenstrafrechts ist schon im Wortgebrauch ein Nachgeben gegenüber den Konservativen.

Nun sucht die SPD ja die neue Mitte. Ist da nicht ein Wechsel angebracht?

Am meisten bedaure ich, daß das Papier auf mangelnder Sachkenntnis beruht. Wenn jetzt geschrieben wird, es gäbe eine Zunahme bei der Gewaltkriminalität bei Jugendlichen, so ist das schlichtweg falsch. Der Hannoveraner Kriminologe Christian Pfeiffer hat ja kürzlich festgestellt, daß sie rückläufig ist.

Die SPD will eine Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Jugendliche, bei denen keine Rücksichtnahme auf die Persönlichkeitsentwicklung mehr erforderlich sei. Also wird es künftig längere Haftzeiten für 18- bis 21jährige geben?

Wohl kaum. Heranwachsende Schläger werden sogar nach dem Jugendstrafrecht mit längeren freiheitsentziehenden Sanktionen bestraft als 21jährige nach dem Erwachsenenstrafrecht. Der Grund: Die Jugendstrafe muß den Erziehungsprozeß positiv beeinflussen und „fühlbar“ sein, während im Erwachsenenstrafrecht die Strafe „so gering wie möglich“ sein soll.

Außer in Nordrhein-Westfalen gibt es in SPD-Ländern keine geschlossenen Heime. Nun wird hier eine Kurskorrektur angemahnt. Zu Recht?

In den 70er und 80er Jahren ist man nach langer Debatte vom Konzept der geschlossenen Heime abgegangen. Erstens wurde damals festgestellt, daß mehr Jugendliche aus den geschlossenen Heimen ausrissen als aus den offenen Einrichtungen. Das ist übrigens heute noch so. Zweitens waren und sind die Betreuungskosten für diese schwierige Gruppe in den geschlossenen Heimen sehr hoch. Und drittens befürchte ich, daß durch ein Konzept geschlossener Heime diejenigen, die vor einer Einweisung tätig werden müssen, animiert werden, diese schwierigen Jugendlichen zu vernachlässigen; nach dem Motto „Wenn wir es nicht schaffen, gibt es ja noch immer die letzte Instanz“. Eine solche Entwicklung fände ich fatal.

Nun sagt die SPD, die geschlossenen Heime seien nötig, weil sich Jugendliche mit hochgradig kriminellem Verhalten bei Anwendung milderer Maßnahmen durch Flucht der Betreuung entzögen. Das klingt ja nach Jugendknästen.

Eine geschlossene Einrichtung wie etwa Rummelsburg in Bayern kennt weder Stacheldraht noch hohe Mauern. Wer dort entweichen will, kann das auch. Eine Formulierung wie im SPD-Papier legt den Schluß nahe, es gehe um mehr als geschlossene Heime. Hier hat man statt Klarheit babylonische Sprachverwirrung geschaffen. Ich habe den Eindruck, man will in den Passagen zur Jugendkriminalität dem Stammtisch zwar nicht nachgeben, sendet ihm aber doch Signale. Interview: Severin Weiland