Querkopf stößt auf Betonmauer

Seit Wochen fühlen sich die Gewerkschaften von Jost Stollmanns Thesen provoziert. Jetzt wollen sie Schröders Wirtschaftsmann zum klärenden Gespräch bestellen  ■ Aus Berlin Annette Rogalla

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht Jost Stollmann den „Standort Deutschland“ umkrempeln will. Am Wochenende verlangte der designierte SPD-Wirtschaftsminister, das Steuer- und Sozialsystem müsse völlig reformiert werden, die Steuern auf Arbeit müßten sinken, die auf den Verbrauch steigen. Außerdem solle der Ladenschluß gelockert werden. Auf seiner Internet-Homepage schrieb Stollmann: „Der Kunde und der Mitarbeiter der Zukunft wird sich seine Einkaufs- und Arbeitszeiten nicht mehr starr vorschreiben lassen.“ Der Ladenschluß sei „ein Fossil“. Damit macht sich der ehemalige Unternehmer nicht nur Freunde.

Stollmann verprelle mit seinen Ideen die traditionellen Wählerschichten der SPD, warnte gestern Roland Issen. Der Vorsitzende der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) fordert, die SPD möge ihren Gewerkschaftsrat einberufen. In dem Diskussionsforum treffen sich in unregelmäßigen Abständen Gewerkschafter und SPD- Abgeordnete, um unterschiedliche politische Standpunkte abzugleichen. Nicht nur Issen sieht Bedarf für klärende Worte. Auch Peter Struck, SPD-Fraktionsgeschäftsführer, hält eine solche Zusammenkunft für nötig. Struck sieht zwar keine Krise, spricht aber davon, daß Stollmanns Äußerungen Irritationen ausgelöst haben. Ob es allerdings zu dem klärenden Gespräch kommen wird, ist unklar.

Widerspruch erntet Stollmann mittlerweile auch von anderen Kollegen aus Schröders Schattenkabinett. Die mögliche Familienministerin Christine Bergmann geht davon aus, daß Stollmann sich nicht mit der Idee durchsetzen kann, das Kindergeld für wohlhabende Eltern zu streichen. Diese Meinung vertritt auch SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping. Schon vor einigen Tagen hatte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer davor gewarnt, den Konsens mit der SPD über Reformen des Sozialsystems aufzukündigen. Da hatte Gerhard Schröder sie noch barsch zurückgewiesen, sie kritisiere stets andere, nur nicht sich selbst. Im SPD- Wahlkampf, so scheint es, stoßen unvereinbare Welten aufeinander. Nur der stellvertretende IG-Metall-Chef Walter Riester kann keine Kluft erkennen: Darauf angesprochen, daß er als möglicher Arbeitsminister in einem Schröder-Kabinett auf einen liberalen Wirtschaftsmanager trifft, sagte er: „Das kann eigentlich nur produktiv sein.“ DAG-Chef Issen verabschiedete sich erst einmal in den Urlaub. Kommentar Seite 10