Brauttüren für die Toten

Die Holländer brachten den Reichtum ins Alte Land. Heute ist es Naturoase und kulturelle Fundgrube vor den Toren Hamburgs  ■ Von Herdis Lüke

Mindestens 15 Minuten braucht Thea Schliecker für das Anlegen ihrer Festtracht. Und die zieht die Altländerin nicht nur an Festtagen an. Im Alten Land südwestlich von Hamburg werden Traditionen noch großgeschrieben. Deshalb verkleidet sich Thea Schliecker auch dann, wenn sie als Gästeführerin Besucher über die herrschaftlichen alten Höfe ihrer Heimat führt. Das Alte Land, das größte zusammenhängende Obstanbaugebiet Nordeuropas, ist umgeben von sanften Wiesen und unzähligen Wasserarmen. Mächtige Deiche schützen die Marschenlandschaft vor Sturmfluten, die einst Brüche, unfruchtbare Sümpfe und Priele zurückließen.

Aber das Alte Land ist nicht nur ein Paradies für Naturfreunde, die bei gutem Wetter per Rad Deiche und kleine Landstraßen erkunden können. Wer sich für Kultur und Geschichte interessiert, findet mehr als 400 denkmalgeschützte Häuser, die den Reichtum der Marschbauern widerspiegeln. Den verdanken sie ihren holländischen Vorfahren, die im 12. Jahrhundert ins Land kamen, die Sümpfe entwässerten und zu fruchtbarem Land machten.

Windmühlen, kleine Brücken und langgezogene Reihendörfer wie Hollern, Steinkirchen und Jork sowie prächtige Fachwerkhäuser mit kunstvollen Schnitzereien zeugen vom Einfluß der Holländer. Gekreuzte Schwäne zieren die Giebel der herrschaftlichen Gebäude – eine Besonderheit, denn in Norddeutschland sind es üblicherweise gekreuzte Pferdeköpfe. Schwäne wie Pferde dienten nicht nur zur Zierde, sondern sollten Haus, Hof und Bewohner vor bösen Hexen schützen.

Auffallend sind die prunkvollen Eingangstüren. Die reich verzierten, „Brauttüren“ genannten Tore sind nur von innen zu öffnen, allerdings nicht nur bei Hochzeiten. „Der besondere Anlaß kann auch traurig sein: Durch die Türen werden nämlich auch die Toten in ihren Särgen hinausgetragen“, erzählt Schliecker.

Die Zeiten, in denen die Bauernfamilien des Alten Landes als unnahbar und hochnäsig galten, sind längst vorbei. Heutzutage öffnen die Bauern BesucherInnen regelmäßig ihre Tore. Obst und Gemüse werden vom Hof weg verkauft, und wer mag, kann hier auch einen Obstler oder einen Kuchen nach altem Rezept probieren. Die Bauern informieren dabei auch über Anbau und Vertrieb.

Daß die Altländer auch noch Feste feiern können, beweist ihr umfangreicher Veranstaltungskalender, den sie für jede Jahreszeit herausgeben. Wer einen Blick in diesen Kalender werfen möchte, wendet sich an den Tourismusverband des Landkreises Stade/Elbe e. V., Tel.: 04141/921061.